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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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vielleicht hatte er sich auch getäuscht. Denn Seamus ergriff die für den Reisepass nötigen Dokumente und stand wie angewurzelt da, den Blick auf das Familienwappen gerichtet. Er musterte den sich windenden Leib des Ungeheuers, die feuerroten Augen, die messerscharfen Fangzähne, den grünen Schuppenpanzer. Mit zusammengekniffenen Augen sah er Sixtus an, wie ein kleiner Junge, der sich nicht traut, eine Frage zu stellen.
    »Was ist? Schieß los«, forderte Sixtus ihn auf.
    »Sie haben gesagt, dass sich die Kellys um die Mitglieder ihrer Familie kümmern …«
    Sixtus nickte. Spielte er darauf an, dass Tom und Bernie ihn zu einem Leben im Heim verurteilt hatten? Dass Tom Kelly ihn auf dem Schlachtfeld der menschlichen Existenz zurückgelassen und gezwungen hatte, sich ohne die Unterstützung der Familie durchzukämpfen?
    »Das habe ich verpfuscht«, sagte Seamus.
    »Du meinst, das hat jemand bei dir verpfuscht?«
    »Nein. Ich meine, es gibt da jemanden, den ich als meine Familie betrachte. Ich hatte geschworen, immer für sie da zu sein, mich um sie zu kümmern. Aber ich habe mein Wort gebrochen.«
    Tom hatte ihm von Seamus und dem Mädchen von St. Augustine’s erzählt, doch das behielt er für sich.
    »In welcher Hinsicht?«, fragte er.
    »Ich bin abgehauen.«
    Sixtus holte tief Luft. Das sah den Kellys überhaupt nicht ähnlich. Das musste er erst einmal verdauen. Als er aus dem Fenster auf die schimmernde Bucht blickte, auf die Stelle, an der er das Ungeheuer zu sehen erwartete, sollte es jemals vom Meeresgrund auftauchen, kam ihm die Erleuchtung. Er räusperte sich.
    »Bist du aus freien Stücken auf und davon oder weil du dachtest, dir bliebe keine andere Wahl?«
    »Sie sollte von ihren leiblichen Eltern abgeholt werden. Und ohne sie wollte ich nicht ins Heim zurück.«
    Sixtus lächelte. Er wusste, dass es immer ein Hintertürchen gab. »Dann hast du sie auch nicht wirklich im Stich gelassen, als du ausgerissen bist. Ihr beide wart Kinder. Du konntest davon ausgehen, dass sie sich in der Obhut der Menschen befinden würde, die sie am meisten liebten – ihre Eltern. Und so war es wahrscheinlich auch.«
    »Wahrscheinlich«, pflichtete Seamus ihm bei, aber er klang unsicher.
    »Du wirst sie finden«, sagte Sixtus, ohne vertrauliche Informationen von Tom preiszugeben; es stand Seamus ins Gesicht geschrieben.
    »Ganz sicher.« Die Worte klangen wie ein Schwur.
    »Dann brauchst du einen Talisman.« Sixtus streifte den goldenen Wappenring von seinem Finger und reichte ihn Seamus. Dieser errötete und betrachtete mit gerunzelter Stirn das abgenutzte Oval mit dem Meeresungeheuer, das sich brüllend aus den Wellen erhob, wie auf dem Wappen hinter dem Schreibtisch.
    »Das kann ich nicht annehmen«, erklärte Seamus.
    »Ich bestehe darauf.« Sixtus lächelte großmütig. Er geleitete Seamus zur Bürotür. »Und nicht vergessen, ruf Tom an, wenn du ihn brauchst.«
    »Ich brauche ihn nicht«, erwiderte Seamus, immer noch nach einer Möglichkeit suchend, den Ring zurückzugeben.
    Sixtus musste ihn praktisch zur Tür hinausschieben. An den Schreibtisch zurückgekehrt, machte er sich eine Notiz, die nur für seine Augen bestimmt war. Er musste gleich morgen früh bei Columba Jewelers anrufen, um eine weitere Kopie des Ringes zu bestellen. Der Juwelierladen besaß die Gussform. Sixtus hatte im Lauf der Jahre viele Ringe anfertigen lassen, für seine Brüder und ihre Frauen, für seine beiden Söhne, die in Amerika lebten, für seine Nichten und Neffen, deren Ehepartner und sogar für gute Freunde. Ihm gefiel die Vorstellung, dass der Kelly-Clan wuchs und sich mehrte, dass alle den Ring von Tadhg Mor O’Kelly trugen und bereit waren, auf Anhieb für einen der Ihren in die Schlacht zu ziehen.
    Er lehnte sich zurück, blickte auf die Bucht hinaus und dachte an Seamus’ Reaktion auf den Vorschlag, Tom um Hilfe zu bitten. Er brauche seine Hilfe nicht, hatte er gesagt. Nein, vielleicht nicht, dachte er. Aber Tom brauchte die Chance, ihm helfen zu können.
    Er holte tief Luft, dann wählte er die internationale Vorwahl und Toms Telefonnummer. Es läutete mehrmals, bevor Tom ranging.
    »Hallo?«
    »Tom, ich bin’s, Sixtus. Er ist gerade gegangen.«
    »Klappt es mit dem Reisepass?«
    »Ja. Er kann ihn morgen abholen.«
    »Hat er gesagt, wann er fliegt?«
    »Er hat morgen Abend einen Flug bei Aer Lingus gebucht. Nach Boston, nehme ich an. Logan Airport ist näher an Newport als JFK . Aber ich werde die Einzelheiten bei meiner

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