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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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war vollzählig anwesend, und Tom. Er hatte es längst aufgegeben, sie überzeugen zu wollen, dass sie einen Fehler beging. Ihren Sohn zur Welt zu bringen und ihn in Irland zurückzulassen war die schwerste Prüfung, die ihr jemals auferlegt wurde. Und die zweitschwerste war, wie sie nach Ablegen der ewigen Gelübde den Gang entlanggeschritten war und Honor und John mit Regis und Agnes gesehen hatte, lächelnd; Cece war noch nicht geboren. Und Tom, der in der Reihe hinter ihnen saß, mit nassen Wangen.
    In jenem Augenblick schien ihm die Endgültigkeit ihrer Entscheidung klargeworden zu sein. Sie wusste, dass sein Herz gebrochen war, als die Orgel nach der Kommunion verstummte und die Türen der Kapelle aufgingen. Ihre eigene Freude, dass sie endlich das ewige Gelübde abgelegt hatte, war groß; doch als sie die Tränen auf Toms Gesicht sah, wäre sie beinahe ins Wanken geraten.
    Danach hatte sie ihn tagelang nicht gesehen. Obwohl er seit Jahren auf dem Anwesen arbeitete, lange bevor sie beschlossen hatte, ins Kloster zu gehen, machte er sich rar. Und dann war sie ihm in der Blauen Grotte begegnet, die sie aufgesucht hatte, um zu beten. Er arbeitete jedoch nicht, sondern saß vor der Marienstatue.
    »Entschuldigung«, hatte sie gesagt und sich zurückziehen wollen, um ihn nicht zu stören, falls er betete. »Ich lasse dich allein.«
    »Schon gut. Schwester«, hatte er hinzugefügt.
    Sie nahm die kurze Pause wahr und den verhohlenen Sarkasmus, der darauf folgte.
    »Wie geht es dir, Tom? Ich habe dich lange nicht mehr gesehen.«
    »Das Gelände ist ziemlich groß, Tunnel, Aquädukte, Sumpfgebiete … Da verläuft man sich leicht.«
    »Wohin hast du dich verlaufen?«
    Er stand auf. Sie erinnerte sich, wie er sich langsam aus der Bank erhob und sich zu voller Größe aufrichtete. Seine Schultern waren breit, sie füllten beinahe den kleinen Raum. Obwohl noch jung, war sein Gesicht zerfurcht, von Wind und Wetter gegerbt. Der wellige braune Haarschopf fiel über seine blauen Augen. Selbst im gedämpften Licht der Grotte sah sie das Feuer in seinem Blick und erinnerte sich an den Tag auf den Klippen von Moher. Wie sie in dem hohen Gras hinter dem Saumpfad gelegen hatten, hoch über dem Atlantik. Wie sie ihn angesehen, die Hand ausgestreckt und ihm die Haare aus den Augen gestrichen hatte. Und wie er ihr Handgelenk gepackt, sie leidenschaftlich geküsst und ihr seine Liebe gestanden hatte.
    »Wohin hast du dich verlaufen?«, wiederholte sie flüsternd.
    »Das kann dir doch egal sein.«
    »Es wird mir nie egal sein.«
    »Ich bemühe mich, dir aus dem Weg zu gehen«, hatte er gesagt, mit bedrohlich leiser Stimme, auch wenn er näher an sie herangerückt war. »Das willst du doch, oder?«
    »Ich weiß nicht«, hatte sie geflüstert.
    Er hatte so dicht vor ihr gestanden, dass sie den Geruch nach Schweiß und frisch gemähtem Gras wahrnahm. Er beugte sich zu ihr, schob den Schleier von ihrem Gesicht und liebkoste ihre Wangen mit seinen Knöcheln. Bernie schloss die Augen. Sie spürte, wie er noch näher kam, ihren Mund mit seinen Lippen streifte. Ein kühler Wind wehte vom Meer herüber, genau wie damals, an jenem Tag Anfang Mai an der Westküste Irlands. Und dann war er gegangen.
    Bernie stand wie angewurzelt da, mit weichen Knien. In der Blauen Grotte, in der die Jungfrau Maria sie vor acht Jahren getröstet hatte. Die Wände waren dunkel und feucht vom Moos. Sie hatte auf der Bank Platz genommen, auf der Tom gesessen hatte. Ihre Lippen prickelten von seinem Kuss.
    Und heute Morgen, am Tag der Weinlese, bog Bernie auf den Pfad ab, der in die Senke hinter dem Weinberg führte, zur Blauen Grotte. Zuerst ging sie langsam, dann begann sie zu laufen. Tom war seit Tagen fort, doch ein Teil von ihr konnte immer noch nicht fassen, dass er Star of the Sea verlassen hatte. Bestimmt würde sie ihn in der Grotte vorfinden, wo alles begonnen und geendet hatte.
    Doch er war nicht da. Sie war allein in dem kalten Sanktuarium. Die Worte, die sie in das Mauerwerk geritzt hatte, wirkten düster und unzugänglich: Ich schlief, doch mein Herz wachte. Und: Du sollst mich wie ein Siegel an dein Herz pressen, wie einen Siegelring an deinem Arm. Denn die Liebe ist stark wie der Tod. Sie wurden nur durch das Moos abgemildert, das fortwährend wuchs und jede Handbreit des Gesteins in dem dumpfigen Schatten der Grotte überwucherte. Tom hatte es vor der Irlandreise nicht entfernt, und seither hatte sich niemand die Mühe gemacht. Bernie sah sich um.

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