Eine Frage des Herzens
euch aus der Einfahrt von Oakhurst kommen. Wohnt eines von euch Mädchen dort?«
Juliana lachte. »Schön wär’s! Was für ein phantastisches Haus …«
»Meine Schwester arbeitet dort«, erklärte Mirande. »Sie ist eigentlich nur dafür zuständig, die Tür zu öffnen, wenn Gäste kommen, erledigt aber auch alle möglichen anderen Dinge. Die Wells haben keinen blassen Schimmer, dass sie eine Künstlerin von Weltrang in ihrer Mitte haben. Beth ist absolute Spitze auf dem Webstuhl unserer Mutter.«
»Deshalb mag ich sie so sehr«, sagte Regis, legte den Arm um Mirandes Schultern und zog ihr das Barett über die grünen Augen. »Sie stammt aus einer verrückten Künstlerfamilie, genau wie unsere.« Tom sah Regis, die ihm so nahestand, als wäre sie seine eigene Nichte, mit einem liebevollen Lächeln an.
»Gott sei Dank fliegt Beth nicht mit dieser grässlichen Familie nach Florida«, sagte Mirande.
»Florida?«
»Ja, sie verbringen den Sommer in Newport und den Winter in Palm Beach.«
»Man höre und staune!«, meinte Monica.
Tom hatte mit einem Mal ein flaues Gefühl im Magen. »Wann reisen sie ab?«
»Sie fliegen Sonntag in den Süden«, antwortete Mirande. »Beth zählt die Tage, bis sie erlöst ist.«
»Kennt Beth Kathleen Murphy, die Köchin der Familie?«
»Oh, meinen Sie das irische Mädchen? Beth sagte, sie sei ziemlich still und in sich gekehrt. Sehr nett, aber ein bisschen verschlossen. Immer für sich. Außer …« Mirande hielt inne. »Nun, Beth hat den Verdacht, dass zwischen ihr und einem der Wells-Söhne etwas sein könnte.«
»Vielleicht heiratet sie ihn und ist glücklich bis ans Ende ihrer Tage, wie eine Prinzessin«, meinte Juliana. »Dann hat sie zur Abwechslung mal jemanden, der für sie kocht statt andersherum.«
»Ich glaube nicht, dass sie ihn liebt«, sagte Regis.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Tom.
Regis zögerte. Ihr Blick verlor sich einen Moment in der Ferne. »Ich habe sie gesehen, oben am Mansardenfenster. Sie schaute zum Himmel hoch, und ich dachte …«
Tom hielt den Atem an. Er hatte das Gleiche beobachtet und sich seine eigenen Gedanken gemacht. Kathleens geistesabwesender Blick war ihm vertraut, er hatte sich selbst darin gesehen, seine Sehnsucht nach Bernie. Er hatte beobachtet, wie die junge Frau kummervoll ins Leere starrte, und die Seelenverwandtschaft gespürt, die sie miteinander verband. Sie sehnte sich nach seinem Sohn, und er sehnte sich nach der Mutter seines Sohnes.
»Ich fand, sie hatte Ähnlichkeit mit mir«, fuhr Regis fort. »Im letzten Sommer, als ich versuchte, in einer Welt Fuß zu fassen, die nicht real war. Ich war mit Peter verlobt und wünschte mir, auf diesem Weg Heilung zu finden, Ballincastle aus meinem Gedächtnis zu verbannen.«
»Das alles hast du gesehen, als du zum Fenster hinaufgeschaut hast?«, fragte Monica skeptisch.
Regis nickte. Tom schwieg, aber er kannte Regis. Er war überzeugt, dass ihre Wahrnehmung sie nicht getäuscht hatte. Sie verfügte genau wie ihre Tante über die Gabe der Einfühlsamkeit und des Scharfblicks. Toms Mut sank, als ihm klarwurde, dass ihm nur noch wenig Zeit blieb.
»Was sagtest du, wann sie abreisen? Nach Palm Beach?«
»Das Flugzeug geht Sonntagmorgen«, antwortete Mirande. »Aber Newport verlassen sie schon morgen.«
»Morgen?«, fragte Tom bestürzt. »Um welche Zeit?«
»Keine Ahnung. Beth erwähnte eine Einladung zum Brunch. Ich vermute, dass sie zuerst dorthin fahren, während Beth und Kathleen für sie packen, und anschließend geht es weiter nach New York. Dort übernachten sie und fliegen Sonntag los. Soweit meine Schwester weiß …«
»Onkel Tom, kommst du mit uns ins Star of the Sea?«, fragte Regis mit großen flehenden Augen. »Zur Weinlese? Ich weiß, wie sehr sich Tante Bernie freuen würde … Es würde ihr sehr viel bedeuten.«
Obwohl Tom angesichts dieser neuen Information erschrak, sah er Regis ruhig an. Sie war Bernies Patenkind, beinahe wie eine Tochter für sie. Er war unendlich froh, dass sie die schwere Zeit, die hinter ihr lag, einigermaßen überstanden hatte. Er wusste, dass sich John und Honor immer noch um sie sorgten und dass sie emotional zerbrechlich gewesen war.
Tom hoffte, dass sie ihm die Bitte erfüllen konnte, die er an sie hatte. Er verspürte ein Gefühl der Enge in der Brust, als würde ein zentnerschwerer Amboss darauf lasten. Er fühlte sich benommen, als er den Zeitplan noch einmal überdachte, und versuchte die neue Information
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