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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Seine Abwesenheit wurde ihr schmerzlich bewusst, nicht nur beim Anblick des Moosbewuchses, sondern auch andernorts.
    Als sie die Steinbank abwischte und im Begriff war, Platz zu nehmen, hob sie den Blick zur Madonna. Und hielt den Atem an.
    Die Marienstatue war blitzsauber, schimmerte im Sonnenlicht. Die Sonne fiel durch einen Spalt in der Ostmauer, die der Morgendämmerung, dem Meer und Irland zugewandt war. Bernie trat näher. Nirgendwo auf der Statue war auch nur ein Fingerbreit Moos zu entdecken. War das schon immer so gewesen? Hatte Tom die Oberfläche mit einem chemischen Mittel behandelt? Oder hatte Brendan oder einer der anderen Gärtner die Statue gesäubert, aber nicht den Rest der Grotte?
    Die Sonne wurde mit einem Mal gleißender und blendete sie. Die Strahlen schienen lebendig zu werden. Sie schwirrten wie Kolibris durch den kleinen geschlossenen Raum. Bernie schirmte ihre Augen ab und blinzelte im Sonnenlicht. Dann schien die Sonne kaum merklich weitergewandert zu sein, denn das Licht wirkte wieder normal. Bernie hielt den Atem an und starrte auf die Statue.
    Sie schimmerte wie Alabaster im Morgenlicht. Bernie liebte alle Marienabbildungen, doch diese war etwas Besonderes. Francis X. Kelly hatte die Statue aus einem Männerkloster unweit von Clontarf mitgebracht. Sie war ein Bindeglied zu seiner Familie in Irland; Bernie hatte das Gefühl, dass sie auch ein Bindeglied zu ihrer Familie war – Tom und Seamus.
    Sie betrachtete die zart schimmernde Statue, die Falten des drapierten Gewandes, die Schlange unter ihren bloßen Füßen, die ausgestreckten Arme – als wollte Maria sie, Star of the Sea und die ganze Welt umarmen. Als sie in das Gesicht der Muttergottes blickte, kehrte die Sonne zurück, stärker als zuvor. Sie überflutete die Grotte mit sengendem Licht, und Bernie schrie auf.
    »Heilige Muttergottes …«
    Obwohl das Licht in ihren Augen brannte, konnte sie den Blick nicht von Marias Antlitz abwenden. Sie sah, wie sich ihre Lippen bewegten, hörte die Worte, unendlich sanft und liebevoll: »Mein Kind …«
    Bernie fiel auf die Knie, faltete die Hände vor der Brust und begann zu beten.
     
    Bienen, die von den reifen Trauben angezogen wurden, buchstäblich trunken vom Nektar, flogen im Weinberg hin und her, doch niemand wurde gestochen. Es herrschte aber auch noch ein geschäftiges Treiben anderer Art. Alle Nonnen und Schülerinnen, John, Honor, Agnes und Cece, sämtliche Gärtner einschließlich Brendan, einige seiner Kollegen aus dem Krankenhaus, seiner zweiten Arbeitsstelle, freiwillige Helfer aus Black Hall und der Kellermeister – ein Mann, der von den Benediktinern wegen seiner Kenntnisse und der Fähigkeit, das Beste aus den Trauben herauszuholen, wärmstens empfohlen worden war – arbeiteten unermüdlich.
    Sie schwärmten aus, steckten ihr Arbeitsgebiet ab, teilten jede Rebstockreihe in drei oder vier Abschnitte auf und wetteiferten, wer am schnellsten die Körbe füllen konnte. Honor blieb dicht bei John, überglücklich, ihm nahe zu sein. Es war seine erste Weinlese seit sechs Jahren, und er schien sie aus vollem Herzen zu genießen. Es machte ihm sichtlich Spaß, die Trauben zu pflücken, die trockenen Stiele abzubrechen und die dichten Büschel über Honors Mund zu halten, die eine nach der anderen aß.
    »Regis hat keine Ahnung, was sie versäumt«, sagte er und ging am Spalier entlang zum nächsten Rebstock.
    »Ich weiß. Dabei schien sie es gar nicht mehr erwarten zu können, ihre Freundinnen mitzubringen, aber wahrscheinlich sind sie in Newport aufgehalten worden.«
    »Wie nett von Mirandes Mutter, dass sie übers Wochenende bleiben durften.«
    »Finde ich auch.« Sie hatte gestern Abend ein leises Unbehagen verspürt, als Regis angerufen und ihr mitgeteilt hatte, dass sie ihre Pläne ändern müssten. Obwohl sie glücklich, ja, sogar aufgeregt klang, hatte Honor das Gefühl, als würde sie ihr ausweichen. Vor einem halben Jahr hatte sie sich Sorgen gemacht, dass Regis etwas Waghalsiges, Gefährliches unternehmen könnte – eine steile Schlucht wie Tuckerman’s Ravine erklimmen, mit dem Kajak nach Martha’s Vineyard fahren oder sich eine ähnliche Herausforderung suchen –, um Ballincastle und die Trennung von Peter zu vergessen.
    Jetzt wusste sie nicht mehr, was sie denken sollte. Regis schien seit dem Sommer erheblich ängstlicher geworden zu sein. Als hätten die Erinnerungen an Ballincastle die Wahrnehmung von Leben und Tod, das Bewusstsein ihrer eigenen

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