Eine Frage des Herzens
sie seit jeher geliebt und dem sie vertraut hatte. Solange sie denken konnte.
Der Gedanke ließ sie erglühen, und sie lächelte. Das Lächeln war ansteckend, übertrug sich auf James’ Augen, seinen Mund. Sie hielten einander umfangen, berührten das Gesicht des anderen, vergewisserten sich, dass es kein Traum war, dass sie nicht aufwachen und wieder alleine sein würden, ohne den anderen, wie so viele Male zuvor.
»Kathleen Murphy«, sagte er.
»James Sullivan«, flüsterte sie.
»Wir haben es geschafft«, sagte er. Und sie wusste, dass es stimmte, obwohl sie in einem Kleintransporter auf einer Straße saßen, die sie nicht schnell genug verlassen konnten, obwohl sie schwanger war, und obwohl nun Streifenwagen vorfuhren, mit heulenden Sirenen und blinkenden Lichtern.
Polizisten eilten herbei. Die Wells stürzten aus der Eingangstür von Oakhurst. Mrs. Wells zeigte mit dem Finger auf James und kreischte wie eine irische Todesfee: »Das ist er, das ist der Mann, der in unser Haus eingedrungen ist …« Andy, immer noch im Pyjama, versuchte sie zu beschwichtigen, während sich Pierce und Mr. Wells im Hintergrund hielten. Regis und die anderen Mädchen rannten herbei, und die Nonne und der Mann mit den blauen Augen redeten auf die Polizisten ein. Doch einige der Ordnungshüter waren immer noch auf der Hut, umkreisten James und Kathleen, die im Wagen saßen, und zwei von ihnen hatten ihre Waffen gezogen.
»Ja, wir haben es geschafft«, flüsterte Kathleen James zu. Sie schloss die Augen, in vollkommenem Frieden mit der Welt, trotz des Lärms und der hektischen Aktivitäten, die ringsum herrschten, denn sie war bei ihm, bei James.
26
D ie Wells entschieden, auf eine Anzeige zu verzichten. Sie zogen es vor, die unerfreuliche Angelegenheit ad acta zu legen und Newport umgehend zu verlassen. Abgesehen davon räumte Mrs. Wells bei der Befragung ein, man könne Seamus schlimmstenfalls vorwerfen, dass er unbefugt den Dachboden betreten und einige morsche Holzlatten beschädigt habe. Sie war wütend auf Kathleen, weniger wegen ihrer Rolle in dem Drama, sondern weil sie sich geweigert hatte, die Familie nach Palm Beach zu begleiten. Nun musste sie sich nach einer neuen Köchin umsehen und diese anlernen. Und zu Beginn der Saison anständiges Personal zu finden, das würde schwierig sein.
Und so stellte die Polizei die Ermittlungen ein, und alle beschlossen, ins Star of the Sea zu fahren. Seamus zögerte zunächst. Er war nicht nach Amerika gekommen, um seine Eltern zu sehen, er hatte sich ausschließlich zum Ziel gesetzt, Kathleen zu suchen und nach Hause zu holen. Doch sie hatten ihn zu seiner Überraschung am Flughafen in Empfang genommen, und ihre Hilfe hatte sich als unschätzbar wertvoll erwiesen. Dafür war er ihnen zumindest dankbar. Abgesehen davon wirkte Kathleen erschöpft, und Bernie hatte ihnen eine gute Mahlzeit und bequeme Betten in Aussicht gestellt.
Da der Pick-up für alle vier zu klein war, wurde beschlossen, dass Tom und Bernie vorausfahren und Seamus und Kathleen mit Regis und ihren Freundinnen folgen sollten. Mirande klappte eilends die dritte Sitzbank im Heck des Volvo-Kombis heraus, und Kathleen und er stiegen ein.
Mit Mirande und Regis vorne, Juliana und Monica hinten und Kathleen und Seamus im Heck – dazu ein Sammelsurium an Rucksäcken, Übernachtungstaschen plus Kathleens Koffer – platzte das Auto aus allen Nähten. Doch das war Seamus egal. Er hielt Kathleen, die er für kein Geld der Welt mehr losgelassen hätte, im Arm und genoss es, dass ihr Kopf an seiner Schulter ruhte.
»Alles in Ordnung dahinten?«, rief Mirande.
»Alles bestens«, sagte Seamus, für sie beide antwortend. Kathleen wirkte wie erstarrt. Sie kauerte neben ihm, die Augen geschlossen.
»Wir müssen nur noch kurz bei mir zu Hause vorbeifahren«, verkündete Mirande. »Es dauert nicht lange.«
»Lass dir ruhig Zeit«, erwiderte Seamus.
Kathleen und er saßen mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und blickten aus dem Heckfenster des Kombi, als sie durch Newport brausten. Er spürte die Nähe des Meeres, und der Gedanke, dass Kathleen in einem Land lebte, das wie Irland von Wasser umgeben war, stimmte ihn froh. Als sie den Hafen erreichten, betrachtete er die schiefergraue, mit weißen Schaumkronen gesprenkelte Oberfläche. Die berühmte Hibernian Hall befand sich an einer Stelle, wo sich zwei Hauptstraßen kreuzten, die irische Fahne flatterte im Wind. Bei ihrem Anblick drückte er Kathleen an sich und deutete
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