Eine Frage des Herzens
gesund wirkte, der ihnen so nahestand. Honors Eltern waren tot, genau wie die Eltern Johns. Die Großeltern der Mädchen gehörten einer früheren Generation an, was ihren Tod in gewisser Hinsicht verständlicher und die Trauer erträglicher machte. Tom zu verlieren, der mitten aus dem Leben gerissen wurde, war für alle unbegreiflich und grausam.
»Ich hoffe, dass niemand sagt ›Seine Uhr ist abgelaufen‹ oder dergleichen.« Regis trocknete sich die Augen.
»Ich auch.«
»Oder ›Gottes Wege sind unerforschlich‹ oder ›Er ist nun bei Gott‹. Ich schwöre, ich bringe jeden um, der so etwas von sich gibt.«
»Du hast recht.« Honor errötete angesichts der Banalitäten, die ihr durch den Kopf gegangen waren, als sie krampfhaft überlegte, wie sie Regis, Agnes und Cece trösten könnte. Wie erklärte man das Unerklärliche? Brendan hatte es gestern Abend treffend zum Ausdruck gebracht. Er hatte seinen jüngeren Bruder Paddy verloren, der an Leukämie gestorben war. Honor hatte gehört, wie er, als sie zusammen am Kamin gesessen hatten, sich mit Agnes über Tom unterhalten hatte. Agnes hatte gefragt: »Aber was für einen Sinn hast du darin gesehen? Was soll man dazu sagen?« Brendan hatte sie an sich gezogen, den Kopf geschüttelt und in die Flammen gestarrt. »Dazu kann man nur eines sagen: Es ist schrecklich. Das ist alles, Agnes. Es ist schrecklich.«
Als sie nun mit Regis in der Küche stand, wusste Honor, dass Brendan recht hatte, dass es keine Worte gab, die über den Verlust hinwegtrösten konnten. Sie beobachtete, wie der Kaffee in die Kanne lief, roch das würzige Aroma und war glücklich, dass ihre Tochter aus dem College heimgekommen war. Sie hörte, wie der Brennofen ansprang und Wärme durch die Rohre leitete. Das Wetter war grauenvoll, doch morgen würde vielleicht wieder die Sonne scheinen. Das Leben würde weitergehen – nein, korrigierte sie sich selbst, es ging bereits weiter, auch ohne Tom. Ein Gedanke, der ihr beinahe unerträglich war.
»Morgen, Dad«, sagte Regis und wischte sich über die Augen, bevor sie ihren Vater umarmte. John betrat die Küche in einem grauen T-Shirt und verwaschenen Jeans, die Augen trüb; die kurzen braunen Haare, von grauen Fäden durchzogen, standen in alle Richtungen ab, weil er sich die ganze Nacht schlaflos im Bett herumgewälzt hatte.
»Hallo, Liebes. Wie geht es dir?«
»Ich weiß nicht. Und dir?«, erwiderte Regis.
Johns Augen verengten sich. Er antwortete nicht. Seine Schultern waren gebeugt, als wäre die Last zu schwer für ihn. Tom und John waren durch dick und dünn miteinander gegangen. Freunde in allen Lebensphasen, von der Schulzeit bis ins Erwachsenenalter, als er sich in Honor und Tom in Bernie verliebt hatte. Tom war Johns Trauzeuge und Regis’ Patenonkel gewesen. Sie hatten in der Steinmauer, die sich über das Anwesen zog, die gemeinsame Geschichte ihrer Familien entdeckt, die sie auf getrennten Wegen nach Irland führte, wo sich ihr Leben nachhaltig geändert hatte.
Tom war maßgeblich an Johns Haftentlassung beteiligt gewesen, und viele Jahre zuvor hatte John ihm beigestanden, als er wegen Bernies Wunsch, ins Kloster einzutreten, am Boden zerstört war, oder vor wenigen Wochen, als sie beschlossen hatte, in der Ordensgemeinschaft zu bleiben. Honor wusste also, dass Regis’ Frage nach dem Befinden ihres Vaters einfach schien, die Antwort für John aber tiefgründig war.
»Es wird schon wieder, Regis«, sagte er nach einigen Minuten. »Doch im Moment ist es schlimm für mich.«
Regis’ Augen weiteten sich. Obwohl sie schon zwanzig war und die Situation kannte, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass es ihrem Vater schlechtging. Honor nahm sie in die Arme.
»Es ist für uns alle schlimm«, sagte Honor. »Ich bin sicher, dass alles gut wird, aber der heutige Tag ist eine Qual. Wir werden ihn gemeinsam durchstehen.«
»Hast du mit Tante Bernie gesprochen?«, fragte Regis.
»Sie hat noch viel zu erledigen«, antwortete Honor ruhig und dachte an den gestrigen Tag, an den Ausdruck in Bernies Augen.
»Sie geht jedem Gespräch aus dem Weg«, berichtete John. »Ich bin zu ihr in den Konvent gegangen, kurz nachdem es passiert ist, und gestern habe ich nochmals einen Anlauf unternommen. Sie bat mich beide Male, ein andermal wiederzukommen, sie habe zu tun.«
»Wie ich bereits sagte, sie hat noch viel zu erledigen«, erklärte Honor beharrlich.
»Wenn sie so weitermacht, wird sie noch den Verstand verlieren«, meinte John.
»Was
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