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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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überglücklich zu wissen, dass sein Sohn auf Star of the Sea weilte. Die Vorstellung barg für John eine solche Tragik, dass ihm die Tränen kamen. Bei dem Gedanken, was Tom versäumte, schüttelte er den Kopf. Ganz gleich, ob Schicksal oder was auch immer, es war unfair. Seamus war endlich hier, und Tom durfte es nicht mehr erleben, lag tot in einem Sarg. Als der Junge geboren wurde, hatte Tom ihn aus dem Krankenhaus in Dublin angerufen.
    »Ich habe einen Sohn«, hatte er gesagt.
    »Gratuliere!«
    »Er ist gesund und munter, und Bernie auch.«
    »Prima, Mann.« John hatte kurz innegehalten. Ihm graute vor der nächsten Frage. »Steht ihr Entschluss immer noch fest?«
    »Bisher hat sie ihre Meinung noch nicht geändert, aber ich sehe, wie sie ihn anschaut. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie sich eines Besseren besinnt.«
    »Wirklich? Du glaubst, sie wird ihn behalten?«
    »Ja. Sie hat gar keine andere Wahl! Du solltest die beiden sehen, John. Wie sie ihn in den Armen hält, stillt, ihn anschaut. Er hat meine Augen, hat sie gesagt …«
    »Der Ärmste.«
    »Finde ich auch. Aber er hat ihre Haare als Ausgleich. Zarter roter Flaum, zum Anbeißen. Mein Gott, er ist so hübsch, der kleine Kerl. Ich möchte, dass du sein Pate wirst.«
    »Tom, liebend gerne …«
    »Das heißt, zuerst muss Bernie die ganze Geschichte rückgängig machen, der Klinik und den Nonnen mitteilen, dass sie ihre Meinung geändert hat, dass wir ihn behalten werden. Ich bin hundertprozentig sicher, dass es so kommen wird. Sie bringt es nie im Leben übers Herz, ihn wegzugeben. Du solltest die beiden sehen.«
    Ach Tom, dachte John. Sie hatten sich alle in Bernie getäuscht. Sie war ihrer tiefsten Berufung gefolgt. Tom hatte seine Beziehung zu ihr aufrechterhalten, auf eine rein platonische Freundschaft beschränkt, hatte die Liebe zu ihr unterdrückt. John würde Bernie gegenüber kein Wort verlauten lassen, aber er fragte sich, ob ihn nicht das Leugnen seiner stärksten Bedürfnisse am Ende das Leben gekostet hatte.
    Plötzlich hörte er ein Klirren, ein heftiges und dennoch zartes Geräusch, das von einer tiefer gelegenen Stelle des Hügels heraufdrang. Als er hinunterspähte, sah er Bernie in schwarzem Habit und Schleier zwischen zwei riesigen Stechpalmen stehen. Sie hielt eine lange Holzstange in der Hand und schlug damit ein einziges Mal auf jeden Baum ein, so dass die Eisschicht auf den glänzenden grünen Blättern und traubenförmig angeordneten roten Beeren zersplitterte wie zerbrochenes Glas, das auf sie herabregnete.

28
    J ohn eilte den Hügel hinunter, von der Steinmauer zum Stechpalmengehölz. Bernie blickte auf, als sie ihn kommen sah, stumm, ohne Gruß. Sie fuhr einfach fort, das Eis von den größten Ästen der kunstvoll gewundenen und knorrigen alten Stechpalmen zu schlagen.
    »Was tust du da, Bernie?«
    »Die Stechpalmen brechen unter dem Eis zusammen.«
    »Nein, keine Sorge.« Sie hielt mit bloßen Händen die Holzstange umklammert. Die Finger waren rot vor Kälte und sahen aus, als wären sie festgefroren. »Lass es gut sein. Geh rein und wärm dich auf.«
    »Du verstehst nicht. Diese Gewächse sind sehr alt. Sie wurden von Toms Urgroßvater gepflanzt. Die Äste sind so zerbrechlich, ich muss sie schützen.«
    »Bernie«, sagte John sanft, erschüttert von dem Ausdruck in ihren Augen, »das Eis schmilzt, sobald sich der Eisregen in Regen verwandelt. Die Stechpalmen werden keinen Schaden nehmen.«
    »Tom ist immer bei schlechtem Wetter hinausgegangen. Wenn zu viel Schnee auf den Ästen lag, schüttelte er ihn herunter. Und bei einem Eissturm kümmerte er sich persönlich um sie, als würde er jede Stechpalme kennen und lieben. John, wusstest du, dass die Blüten zweihäusig sind, also weiblich oder männlich sein können? Damit sie Beeren hervorbringen? Das hat mir Tom erzählt. Er wusste so viel über das Land, über jede einzelne Pflanze, die hier wächst.«
    »Er wusste eine Menge. Er hat Star of the Sea geliebt.« John konnte sich gerade noch verkneifen, hinzuzufügen: Und dich am allermeisten.
    »Francis X. Kelly hat diese Bäume und Sträucher gepflanzt oder anpflanzen lassen. Was er wohl davon gehalten hätte, dass sein Urenkel hier Landschaftsgärtner war?«
    »Er wäre mit Sicherheit stolz gewesen.« Die Worte hallten in Johns Ohren nach. Er sah Bernie an, ihr Gesicht war angespannt.
    »Wie sollen wir nur ohne ihn zurechtkommen?«, fragte Bernie mit rotgeränderten Augen. »Woher wissen wir, welche Gartenarbeiten

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