Eine Frage des Herzens

gekommen war, aber auch, weil er Nachforschungen über die Herkunft seiner Familie anstellen wollte. »Viele Hillbillys haben ihren Ursprung in Irland«, hatte Mark Riley ihm erklärt. »Deshalb gibt es so viele Fiedel-Passagen im Bluegrass-Genre der Countrymusic. Da schlagen unsere keltischen Wurzeln durch.«
    »Das ist ein ideales Thema für einen Song«, hatte die Liedermacherin Randi-Lu O’Byrne ausgerufen, als sie die neolithischen Ganggräber besichtigte und Seamus’ Erzählungen lauschte. »Ich werde ihn ›Roof Box‹ nennen und Ihnen widmen, Seamus.«
    »Das macht sie, da können Sie sicher sein«, bestätigte ihre Tante. »Sie hat ihre Gitarre oben im Zimmer, und ich wette, dass sie das Lied schon bei ihrer Show an diesem Wochenende spielt.«
    »Ich würde mich freuen, wenn Sie zu meinem Konzert kommen«, sagte Randi-Lu. »Ich lasse an der Abendkasse zwei Karten auf Ihren Namen hinterlegen.«
    »Vielen Dank, Ma’am.«
    »
Ma’am?
Mein Gott, was glauben Sie, wie alt ich bin?«, erwiderte sie lachend.
    »Randi-Lu, ich gehe schon mal zum Parkplatz, ich muss noch ein paar Anrufe erledigen«, verkündete die Tante und ließ sie alleine.
    »Haben Sie eine Freundin, Seamus?«, erkundigte sich Randi-Lu, als sie durch den Schatten der historischen Grabanlagen schlenderten.
    Er dachte an Kathleen und zögerte, so dass Randi-Lu grinste und ihm aufmunternd die Schulter tätschelte.
    »Sie haben eine, stimmt’s?«
    »Nun, es gab da jemanden …«
    »Na also. Und wo ist sie jetzt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe sie vor langer Zeit aus den Augen verloren, an einem Strand.«
    »Das klingt nach Stoff für einen weiteren Song. Sie inspirieren mich. Erst ›Roof Box‹, und nun ›Verloren am Strand‹. In E-Dur. Wie heißt sie?«
    »Kathleen.«
    »Wenn Sie zu meinem Konzert kommen, werde ich Seamus und Kathleen einen Song widmen. Wir schicken sie ins Universum, eure Namen, beide gleichzeitig. Darum geht es bei meiner Musik … um Liebe und Bindung.
Die Große Liebe,
Seamus. Mit einem großen ›G‹ und einem großen ›L‹. Keine Romanze, die vorübergeht, stirbt, verblasst. Ich spreche über die wahre Liebe zwischen zwei Menschen, die füreinander bestimmt sind. Das ist das Thema meiner letzten Single.«
    »Die Große Liebe«, wiederholte er.
    »Liebe, die man in der Seele bewahrt.« Sie musterte ihn mit ihren durchdringenden grünen Augen.
    »Ja.« Ein Schauder lief über seinen Rücken, als er Kathleens Gesicht wieder vor sich sah.
    »Es gibt nicht viele Männer, die wissen, was ich mit diesen Worten meine.« Sie trat einen Schritt näher. Sie standen im Schatten eines Steinzeit-Megalithen, und ihre Zehen berührten sich beinahe. Sie sah aus wie achtundzwanzig, nicht viel älter als er. »Sie sagten, dass Sie das Mädchen verloren haben.«
    »Das stimmt.«
    »Ich habe auch jemanden verloren. Er ist ebenfalls Sänger und lebt in Nashville. Wir gingen oft miteinander auf Tournee und hatten geplant, gemeinsam ein Konzert in Irland zu geben.«
    »Daraus wurde nichts?«
    Randi-Lu schüttelte den Kopf. »Er hat mich wegen einer anderen verlassen. Sie leben jetzt zusammen, haben ein Baby und alles, was sonst noch dazugehört. Ist mit Kathleen und Ihnen das Gleiche passiert?«
    »Nein. So weit kam es nie, wir hatten keine Chance. Aber das ist eine lange Geschichte.«
    »Ich bin Country-Sängerin.« Randi-Lu rückte noch näher. »Ich liebe lange Geschichten.«
    Seamus spürte ihre enorme Anziehungskraft und wusste, dass sie mit ihm anzubändeln versuchte. Das war ihm schon häufiger mit weiblichen Fahrgästen passiert, die geschäftlich oder aus familiären Gründen in Irland waren, weit weg von zu Hause. Er hatte nie reagiert und beabsichtigte auch jetzt nicht, sich darauf einzulassen.
    »Die Geschichte ist zu lang«, erwiderte er sanft, um ihre Gefühle nicht zu verletzen.
    »Aha, die große Liebe«. Sie wich lächelnd zurück. »Es scheint Sie ja ziemlich schlimm erwischt zu haben.«
    »Ja, ich denke schon.«
    »Nun, wo immer Kathleen auch stecken mag, ich hoffe, sie weiß, dass Sie es kaum erwarten können, sie zu finden.«
    »Danke«, sagte Seamus. Und dann kam Randi-Lus Tante, die ihre Telefonate erledigt hatte, und meinte, es sei an der Zeit, nach Dublin zurückzukehren. Seamus öffnete den Schlag, und die beiden stiegen ein und nahmen auf dem Rücksitz des Mercedes 600 Platz. Randi-Lu reichte ihm eine ihrer neuesten CD s, und er legte sie ein.
    Der erste Song hieß »Big Love«, und Seamus hörte aufmerksam