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Eine Frage des Herzens

Eine Frage des Herzens

Titel: Eine Frage des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Innenhofs stand und mit seinem Handy telefonierte.
    Tom hatte dicht neben Bernie gestanden. Sie zitterte vor Anspannung, und er wusste, dass sie am liebsten zu ihrem Sohn gelaufen wäre, um ihn in die Arme zu schließen. Er hatte sie noch nie so gesehen oder erlebt – etwas Ungezähmtes in ihrem Inneren brach sich seine Bahn, das ihn beinahe erschreckte. In den letzten dreiundzwanzig Jahren war sie Schwester Bernadette Ignatius gewesen, Äbtissin von Star of the Sea, stark wie ein Fels in der Brandung. In Dublin verwandelte sie sich wieder in Bernie Sullivan, eine zarte, verletzliche Frau, in die er sich unsterblich verliebt hatte, die ihren gemeinsamen Sohn zur Welt gebracht und zur Adoption freigegeben hatte.
    »Bernie«, sagte er nun, sein Mund an ihrem Haar, ihr Kopf an seine Brust gepresst.
    »Hast du ihn gesehen?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme. »Er war es, er war es wirklich …«
    »Ja. Kein Zweifel.«
    »Sein Freund nannte ihn Seamus.«
    »Das ist irisch für James.«
    »Wir müssen zu ihm. Warum hast du mich zurückgehalten?«
    »Was sollen wir ihm denn sagen?«
    »Das weißt du doch.«
    »Nein, ich weiß es nicht. Ich habe keinen blassen Schimmer.«
    Sie blickte ihn an, fast mitleidig. Ihr Gesicht wirkte energiegeladen, lebendig. Er hätte gerne gewusst, was hinter ihrer Stirn vorging – eine Welt für sich, in der sich die Gedanken überschlugen. Ohne den schwarzen Schleier, ohne das steife Weiß des Kopftuchs, das ihr Gesicht umrahmte, sah sie völlig verändert aus. Sie hatte mit keiner Silbe erwähnt, warum sie den Habit abgelegt hatte, aber es war ihm auch egal. Er sehnte sich danach, ihre Wange, ihre Haare zu berühren, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen.
    »Er ist unser Sohn«, sagte Bernie. »Wir werden die richtigen Worte finden, wenn es so weit ist. So etwas lässt sich nicht vorausplanen.«
    »Aber wir wollen ihn nicht aus der Fassung bringen, ihm einen Schrecken einjagen …«
    Bernie blinzelte, ihre Augen waren gerötet. Langsam kehrte die Farbe in ihr Gesicht zurück, die Sommersprossen bildeten einen weniger krassen Kontrast zur Blässe. Sie wischte die Tränen weg und ergriff Toms Hand.
    »Komm, lass uns fahren.«
    »Jetzt gleich? Sollten wir nicht …«
    »Keine Angst, Tom. Deswegen sind wir doch hergekommen, Tausende von Meilen. Er wartet auf uns.«
    »Bist du sicher, dass du für die Begegnung gerüstet bist, Bernie?«
    »Bin ich«, flüsterte sie. Als sie über seine Schulter an ihm vorbei zum Innenhof des Greencastle Hotels blickte, wusste Tom, dass sie in der Tat zu allem entschlossen war.
     
    Bernie zog den weißen Pullover über ihre Hüften hinunter und stand neben dem Wagen, nach Atem ringend. In normaler Straßenkleidung – Jeans und Pullover, den Kopf unbedeckt – hatte sie das Gefühl, sich auf dem Präsentierteller zu befinden. Doch die Aufmachung war beabsichtigt. Sie wollte sich angesichts dessen, was sie ihrem Sohn zu sagen hatte, nicht hinter Habit und Schleier verstecken.
    Als sie neben Tom herging, spürte sie, dass er gerne ihre Hand genommen hätte. So verführerisch der Gedanke auch sein mochte, sie ließ es nicht zu. Sie wollte keine falschen Signale übermitteln – weder ihm noch ihrem Sohn.
    Seit Schwester Anastasia Auskunft über den Verbleib ihres Sohnes gegeben hatte, waren einige Stunden verstrichen, in denen Bernie die verschiedensten Szenarien durch den Kopf gegangen waren. Tom und sie hätten ihn als Fahrer engagieren und sich ihm irgendwo unterwegs zu erkennen geben können. Doch sie hatte die Idee verworfen – sie erschien ihr zu unehrlich. Manipulationen dieser Art waren ihr zuwider.
    Sie sahen, wie er sich von seinem Freund verabschiedete und dann den Innenhof in Richtung Straße überquerte. Seine Arbeit für den heutigen Tag war beendet, vermutlich wollte er nach Hause. Bernie spürte, wie Tom neben ihr jeden Muskel anspannte, als wollte er zum Sprung ansetzen und ihn abfangen.
    »James!«, hörte Bernie sich sagen.
    Der junge Mann blieb wie angewurzelt mitten auf dem Bürgersteig stehen und blickte sie unvermittelt an.
    »Reden Sie mit mir?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete sie.
    »Mein Name ist Seamus.«
    »Thomas James Sullivan.«
    »Wie bitte?« Er sah sie erschrocken an.
    »So lautet dein Name«, erklärte Bernie.
    »Ich heiße Seamus Sullivan.« Sein Blick huschte zwischen Tom und Bernie hin und her.
    »Aber früher wurdest du James genannt, oder?«, schaltete sich Tom ein.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Wir haben

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