Eine Frage des Herzens
fragte Bernie. Nun war es an ihr, überrascht zu sein. »Was hat er gesagt?«
»Nun, wenn irgendjemand auftaucht und nach ihm fragt, soll ich ihm etwas geben. Moment.« Er eilte zum Wagen zurück.
»Was mag das sein?« Bernie sah Tom fragend an.
»Immer mit der Ruhe, Bernie. Nicht die Nerven verlieren.« Tom legte seine Hand auf ihren Arm, was sie erschauern ließ. Sie war nervös und aufgeregt, als stünde sie an der Schwelle zu einem neuen Leben. Ihre Gedanken überschlugen sich, ihr Herz war zum Bersten voll. Ihr Glaube war nie erschüttert worden, auch jetzt nicht, doch während der letzten Tage hatte die Liebe die größte Rolle darin gespielt. Eine tiefere Liebe, als sie jemals empfunden hatte. Plötzlich wünschte sie sich nichts sehnlicher, als mit Tom auf den Klippen zu stehen und ihm ihre Gefühle zu offenbaren.
»Übrigens, mein Name ist Tom Kelly.« Tom reichte dem jungen Mann die Hand, als er im Laufschritt zurückkam.
»Kevin Daly.«
»Und das ist Bernadette Sullivan«, sagte Tom, die Hand auf ihrer Schulter.
»Hallo, Kevin.«
»Sullivan?« Kevin schüttelte ihre Hand. »Wie Seamus?«
»Ja.« Bernie verkniff sich jede weitere Bemerkung und richtete ihren Blick auf den weißen Umschlag in Kevins Hand.
»Man könnte meinen, dass Sie verschollene Verwandte sind«, sagte Kevin grinsend. »Aber ich weiß, er hat keine Angehörigen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Tom.
»Nun, weil er im St. Augustine’s aufgewachsen ist. Er ist der beste Mensch der Welt, und dabei hatte er eine lausige Kindheit. Er wurde ins Heim abgeschoben. Man würde es ihm nie anmerken. Er ist so lebensbejahend und positiv. Eileen und ich haben ihn gebeten, bei unserer Hochzeit Trauzeuge zu sein. Wir könnten uns keinen besseren vorstellen.«
»Er scheint ein außergewöhnlicher Mensch zu sein«, murmelte Bernie, tief berührt von Kevins Worten.
»Wie auch immer«, sagte Kevin, »seltsamer Zufall, dass Sie beide Sullivan heißen. Das hat er mir nicht erzählt, aber Sie müssen die Leute sein, von denen er sprach. Sonst hat niemand nach ihm gefragt.« Er reichte ihnen den Umschlag. Bernies Hände zitterten, und sie überließ es Tom, ihn entgegenzunehmen.
»Wann arbeitet er denn wieder?«
Kevin zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Er war noch nie krank, das ist das erste Mal. Gestern hat er Eileen und mir seine Eintrittskarten für ein Konzert geschenkt, das Freitagabend stattfindet – heute Abend. Vielleicht brütet er irgendetwas aus.«
»Sah er krank aus, als er Ihnen das gegeben hat?«, fragte Tom und tippte auf den Umschlag.
»Er wirkte ein bisschen blass und müde, aber nichts Ernstes«, antwortete Kevin. »Er bat mich, bei ihm vorbeizukommen und den Umschlag abzuholen. Er sei für das Paar bestimmt, das vor dem Hotel auftauchen und sich nach ihm erkundigen würde. Es sei dringend. Aber keine Sorge, er ist nie krank. Vermutlich nur eine Erkältung. Sind Sie Freunde von ihm?«
»Ja«, antwortete Bernie, »wir sind Freunde.«
Kevin nickte lächelnd. »Gut zu wissen. Die kann er brauchen. Freunde, meine ich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich der einzige bin. Er kapselt sich ziemlich ab …«
»Wirklich?«, fragte Tom.
»Ja. Er arbeitet die ganze Zeit, um Geld für seine Ausbildung zu sparen. Er denkt nur an seine Zukunft.«
»Seine Zukunft?« Bernie konnte es kaum erwarten, den Umschlag zu öffnen, aber sie war auch begierig, von seinem Freund so viele Einzelheiten wie möglich über das Leben ihres Sohnes zu erfahren.
»Er will Rechtsanwalt werden, soweit ich weiß«, sagte Tom.
Kevin lachte. »Ja, das klingt ganz nach Seamus. Er ist sehr ehrgeizig. Sie wissen natürlich, warum …«
»Warum?«
»Nun, wegen Kathleen. Er redet fortwährend von ihr. Was er tun wird, sobald er Kathleen gefunden hat, über das Leben, das er ihr bieten möchte. Er hat Träume, die er mit ihr verwirklichen möchte – genau wie Eily und ich.«
»Er liebt sie offenbar«, sagte Bernie.
»Sie haben sich vor langer Zeit aus den Augen verloren. Aber er wird sie wiederfinden. Davon bin ich fest überzeugt«, erklärte Kevin gutgelaunt. »Seamus gehört zu den Menschen, die ihr Ziel unbeirrt verfolgen. Er würde ans andere Ende der Welt reisen, um Kathleen zu suchen. Er hat mich inspiriert, mir Gedanken über berufliche Alternativen zu machen.«
»Berufliche Alternativen?«, sagte Tom.
»Etwas anderes als Fahren, meine ich. Die Arbeit ist gut und ehrenwert, keine Frage. Aber Seamus hat mich dazu gebracht
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