Eine Frage des Herzens
haben sich so gefreut, dich zu sehen. Und Brendan auch. Er ist glücklich, dass er hier mit dir arbeiten darf. Pass auf, dass er seine Meinung nicht ändert und beschließt, Agrarwirtschaft statt Medizin zu studieren.«
»Brendan täte besser daran, sich ein anderes Vorbild zu suchen. Ich gehe.«
»Na gut. Dann schwänzt du eben das Abendessen. Aber …«
»Du hast mich nicht richtig verstanden. Ich verlasse Star of the Sea.«
»Tom!«
»Brendan wird seinen Weg auch ohne mich finden. Du weißt, dass Bernie alles für ihn tun wird, was in ihrer Macht steht.«
»Ich rede nicht von Brendan, ich rede von dir.«
Tom schüttelte den Kopf und ging von dannen. Er wusste, dass John ihm nicht folgen würde. Er würde später Zeit für eine eingehende Erklärung finden und für die Bitte um Unterstützung. Tom hatte Pläne, was seine nächsten Schritte betraf, aber er konnte nicht alles hinter sich lassen, ohne zu wissen, dass sich Brendan und die Academy in guten Händen befanden.
Und Bernie. Er würde nicht ohne die Zusicherung ihres Bruders gehen, sich um sie zu kümmern. Sie war überzeugt, sich in Gottes Hand zu befinden, was gut und schön war. Doch Tom war ein Mann und dachte in menschlichen Begriffen. Deshalb musste er sich vergewissern, dass sie sich jederzeit an John wenden konnte, wenn er Star of the Sea verlassen hatte. Nicht um ihres, sondern um seines eigenen Seelenfriedens willen.
An der Rezeption des Greencastle herrschte Hochbetrieb. Die Gäste wollten einen Tisch im Restaurant reservieren und Eintrittskarten für das Abbey oder Gate Theater bestellen, doch Seamus bahnte sich einen Weg zum hinteren Empfangsbereich und loggte sich umgehend in den Computer ein. Das Hotel hatte nichts dagegen, wenn er ihn für seine E-Mails oder eine kurze Recherche im Internet benutzte, und er brannte darauf, Nachforschungen anzustellen, seit Tom Kelly sein Apartment verlassen hatte.
»Seamus, was ist mit deiner Hand passiert?«, fragte Matthew Killian, der Chefportier, in einer kurzen Verschnaufpause vom Ansturm der Gäste.
»Ich hab die Autotür zu früh zugeschlagen«, antwortete er. Er hatte sich die Geschichte seit dem Besuch im Krankenhaus zurechtgelegt.
»Und ich dachte schon, du wärst in eine Rauferei verwickelt gewesen«, erwiderte Matthew scherzhaft.
»Großer Gott, nein! Nur hautnaher Kontakt mit dem Mercedes.«
»Gib auf dich acht«, sagte Matthew. »Du bist mein bester Fahrer. Ich möchte dich nicht wegen einer Unachtsamkeit oder wegen dieser schweren deutschen Autotüren verlieren.«
Seamus errötete. Er wollte auf keinen Fall den Anschein erwecken, dass es ihm an Dankbarkeit oder Loyalität mangelte, denn das Greencastle hatte sich ihm gegenüber stets als großzügig erwiesen. Doch als er nun auf den Bildschirm des Computers blickte und mit seiner unverletzten Hand langsam die Tastatur bediente, wusste er, dass seine Tage im Hotel gezählt waren.
Tom Kelly war er nichts schuldig, aber er hatte ihm die Postkarte gebracht. Seamus gab »Newport«, »Cliff Walk« und »Kathleen Murphy« in die Google-Suchmaschine ein und erzielte mehrere hundert Treffer. Als er Google Earth anklickte, entdeckte er, dass es Bildmaterial über Newport gab. Er lud es auf den Monitor herunter, vergrößerte es und stellte es scharf ein.
Er kam sich vor wie ein Raumfahrer, der den Erdball umkreist. Er sah, wie die Erde näher rückte, wie er von Irland aus den Atlantischen Ozean überquerte. Da war er, Rhode Island, der kleinste Staat der USA , im Nordosten zwischen New York und Boston gelegen.
In diesen beiden Städten lebten zahlreiche Iren. Viele seiner älteren Freunde waren ausgewandert und hatten Arbeit als Gärtner oder Dienstboten gefunden. Dank der guten Wirtschaftslage, die derzeit in Irland herrschte, konnten die Leute mehr Geld zurücklegen und sich an einem College oder für ein Graduiertenstudium in Amerika bewerben. Die Großstädte waren angefüllt mit Iren, die »Hibernia« verlassen und dort eine neue Heimat gefunden hatten.
Newport vielleicht auch. Als Google Earth klarer wurde und näher an das Zielobjekt heranrückte, erkannte er das Meer, das sich vor ihm ausbreitete, und die Landspitzen, die ebenso felsenreich und zerklüftet waren wie in Kerry, als wären sie durch die Eiszeit auseinandergerissen worden. Plötzlich erschien eine Ansicht von Newport auf dem Monitor, gestochen scharf, beinahe identisch mit der Abbildung auf Kathleens Postkarte.
»Was schaust du dir da an?«, fragte
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