Eine französische Affäre
des 16. Jahrhunderts begonnen hatte und daß er von verschiedenen Grafen von Bantôme erweitert und verändert worden war. Jeder Besitzer hatte das Schloß verschönert und bereichert, bis es eher einem Palast glich als dem Wohnsitz eines Landadeligen, und seine Schönheit wurde durch seine Gärten und die dunklen Wälder, die es einfaßten, als wäre es ein kostbares Juwel, noch gesteigert.
Als sie näher kamen, sah sie, daß vor dem Schloß ein Springbrunnen war, dessen hoch in die Luft steigender Strahl im Sonnenschein in allen Farben des Regenbogens glitzerte. Ich verstehe, warum Mama es so geliebt hat, dachte Canéda. Dann verhärtete sie ihr Herz, um nicht zu vergessen, daß ihre Mutter von zu Hause verstoßen worden war und daß sie selbst die Schloßbewohner haßte, jeden einzelnen!
Sie hoffte, ihre Großeltern durch die prachtvollen Pferde, die ihre Kutsche zogen, durch die Vorreiter in ihren gepuderten Perücken und durch Ben in seiner schicken Uniform und dem Zylinder mit der Kokarde beeindrucken zu können.
Der Kutscher brachte die Kutsche vor dem Tor zum Stehen und ließ gleichzeitig einen Hornstoß ertönen. Im selben Augenblick erschienen Bedienstete, als hätten sie auf ihre Ankunft gewartet.
Der Kutschenschlag wurde aufgerissen, und Canéda stieg, gefolgt von Madame de Goucourt, aus der Kutsche.
»Sie gehen vor mir«, hatte Canéda gesagt, aber Madame de Goucourt hatte den Kopf geschüttelt.
»Es ist deine Familie, die du besuchst.«
»Vergessen Sie nicht, daß ich sie hasse!« hatte Canéda erwidert.
»Das darfst du nicht sagen«, hatte Madame de Goucourt auf ihrer Meinung bestanden, »solange du sie nicht kennst. Ich glaube, du wirst eine Überraschung erleben.«
Canéda zog die Augenbrauen in die Höhe, konnte aber nicht mehr antworten, denn als sie die Eingangsstufen zum Schloß hinaufschritt, kam ein junger Mann auf sie zu geeilt.
»Darf ich dich willkommen heißen, Canéda, auch im Namen meiner Großeltern?« fragte er. »Ich bin Armand, dein Vetter.« Er war dunkelhaarig und attraktiv und lächelte Canéda bewundernd an.
Diese bemühte sich, kalt und abweisend zu sein, wie sie es während ihres ganzen Besuchs sein wollte. Sie gab ihm jedoch die Hand und stellte ihn Madame de Goucourt vor, die, während er ihr die Hand küßte, sagte: »Ich habe dich nicht mehr gesehen, seitdem du sechs Jahre alt warst, es ist also recht überflüssig, wenn ich hinzufüge, daß du groß geworden bist.«
»Ich habe meine Familie oft von Ihnen sprechen hören, Madame«, erwiderte Armand, »und immer waren alle des Lobes voll.«
Er hat etwas typisch Französisches an sich, dachte Canéda verächtlich.
Armand sagte zu ihr: »Die Großeltern warten im Salon auf dich. Du mußt ihnen vergeben, daß sie nicht zu deiner Begrüßung an die Tür gekommen sind, aber Großvater ist nicht mehr gut zu Fuß.«
Canéda neigte huldvoll den Kopf. Sie betraten eine höchst imposante Halle und gingen dann einen Korridor entlang, an dessen Wänden sich wunderschöne alte Möbel und Bilder befanden, die vermutlich die Vorfahren der Bantômes darstellten.
Es schien nur wenige Diener zu geben, und es fiel ihr auf, daß alles ein wenig glanzlos und staubig wirkte, als müßte es nicht nur geputzt, sondern auch gestrichen und tapeziert werden.
Armand öffnete eine Türe, und sie fand sich in einem großen Salon, der auf einen Ziergarten an der Rückseite des Schlosses hinausging.
Am Fenster saß eine ältere Frau mit weißem Haar, und nachdem sie einen Blick auf sie geworfen hatte, fühlte Canéda, wie sich ihr Herz zusammenzog, denn das Gesicht, das sich ihr zuwandte, war das Gesicht ihrer Mutter, wenn auch älter und voller Falten.
»Das ist Canéda, Großmutter«, stellte Armand Canéda vor.
Die Gräfin streckte ihr beide Hände entgegen. »Mein liebes Kind«, rief sie aus, »ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dich zu sehen, und was es für mich bedeutet hat, daß du meinen Brief so schnell beantwortet hast!«
Canéda machte einen Knicks, und als sie ihr die Hand zum Gruß hinstreckte, nahm die Gräfin sie zwischen ihre beiden Hände und zog sie zu sich heran.
Canéda hatte sich, bevor sie England verließ, vorgenommen, daß nichts sie bewegen würde, ihren verhaßten Verwandten irgendeine Freundlichkeit zu erweisen, und doch war es jetzt unmöglich, dem Kuß auszuweichen, den ihr ihre Großmutter gab.
»Setz dich, meine Liebe«, sagte die Gräfin und zeigte dabei auf einen Stuhl neben sich.
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