Eine französische Affäre
den die Sachen gewickelt waren, um die sie Ben gebeten hatte. Sie warf ihn sich über die Schulter und öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür.
Von dem Diener, der die Kerzen gelöscht hatte, war nichts zu sehen, und sie fürchtete zwar, daß der Herzog aus dem Salon kommen könnte, vermutete aber, daß er inzwischen in sein eigenes Schlafzimmer gegangen war.
Schnell lief sie die Stufen hinunter, bis sie in der Halle ankam. Vor dem Tor saß ein Diener, der auf seinem Stuhl eingenickt war.
»Machen Sie bitte auf«, sagte Canéda leise.
Er blickte verdutzt drein, gehorchte ihr aber, und als sich das Tor öffnete, schlüpfte sie hindurch und eilte quer über den Hof und durch das äußere Tor, das zu der Brücke führte, die den Burggraben überspannte. Sie brauchte nur ein paar Sekunden, um auf die andere Seite des Grabens zu kommen.
Da sah sie Ben unter einem Baum mit zwei Pferden warten. Er saß gemütlich auf dem Boden, und sie schloß daraus, daß er nicht so früh mit ihr gerechnet hatte.
Als sie bei ihm ankam, sprang er auf. »Sie wollen reiten, wie Sie sind, Mylady?« fragte er.
Canéda erwiderte nichts, sie legte nur die Hände auf Ariels Sattel, und Ben half ihr hinauf.
Sie ritt auf Ariel den steilen Abhang zur Stadt hinunter. Es war dunkel, aber die Fenster von ein paar Häusern waren erleuchtet und wiesen ihnen den Weg, und es dauerte nicht lange, bis sie zur Brücke über den Fluß kamen.
Sie ritten hinüber, und Canéda trieb Ariel an, als ob ihr der Teufel höchstpersönlich auf den Fersen wäre.
Sie wußte, daß sie nicht vor dem Herzog weglief, sondern vor ihrem eigenen Herzen.
F ÜNFTES K APITEL
Canéda kam an Deck, um sich an eine windgeschützte Stelle zu setzen.
Die See war nicht gerade rauh, aber die Dünung war doch so lebhaft, daß sich Madame de Goucourt in ihre Kabine zurückgezogen hatte; sie habe keine Lust, sich die Beine zu brechen.
Canéda war erleichtert, weil das bedeutete, daß sie allein sein konnte und nicht den Fragen ausweichen mußte, die Madame de Goucourt, die vor Neugier fast platzte, ihr nur zu gern gestellt hätte.
Als sie in dem Gasthof angekommen war, nachdem sie vom Schloß geflohen war, hatte sie ihr Schlafzimmer aufgesucht. Sie konnte jedoch keinen Schlaf finden, und als sie sich anzog, noch bevor ihre Zofe sie wecken konnte, tat sie das in dem Bewußtsein, daß Madame de Goucourt über ihren Wunsch abzureisen informiert war und die Kutsche mit den Vorreitern nach dem Frühstück bereitstehen würde, um sie nach Bordeaux zu bringen.
Madame de Goucourt war erstaunt über die plötzliche Eile. »Was ist passiert, Canéda?« fragte sie, als sie in das Frühstückszimmer kam. »Warum haben wir es so eilig, nach St.-Nazaire aufzubrechen?«
»Ich hatte nie vor, hier lange zu bleiben«, erwiderte Canéda ausweichend.
Madame de Goucourt war eine intelligente Frau. Sie erkannte an Canédas Gesichtsausdruck, daß etwas passiert war, aber da Canéda offensichtlich nicht darüber reden wollte, zwang sich Madame de Goucourt zu schweigen, auch wenn es ihr schwer fiel. Erst als sie im Frühlingssonnenschein nach Angers fuhren, fragte sie: »Als ich gestern nachmittag dein Briefchen erhielt, habe ich gedacht, du würdest die Nacht bei deiner Freundin verbringen, aber heute morgen habe ich erfahren, daß du sehr spät zurückgekommen bist.«
»Es war bequemer für mich«, erwiderte Canéda. Während sie das sagte, war ihr der Augenblick wieder ganz gegenwärtig, in dem sie von den Höhen der Verzückung auf den Erdboden zurückgekommen und sich darüber klar geworden war, was der Herzog vorhatte.
Als sie endlich im Bett lag, hatte sie keinen Schlaf finden können, weil ihr Herz von dem Glücksgefühl, das er in ihr geweckt hatte, heftig pochte, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte.
Sie hätte nie gedacht, daß es so beglückend sein konnte, geküßt zu werden, daß sie aufhören konnte, sie selbst zu sein, und ein Teil von ihm wurde.
Wie, fragte sie sich, hatte sie sich ihm so schamlos schnell hingeben können, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich zu wehren?
Vom allerersten Augenblick an, in dem sie ihre Augen auf ihn gerichtet hatte, hatte sie gewußt, daß er anders als andere Männer war, nicht nur anders im Aussehen und Benehmen, sondern auch anders in der Wirkung, die er auf sie hatte.
Die Männer, denen sie in London begegnet war und die sie verehrt, ihr den Hof gemacht, sie umworben und ihr Heiratsanträge gemacht hatten, hatten sie in keiner
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