Eine französische Affäre
und als er sie anstarrte, machte sie die Andeutung eines Knickses vor ihm.
Einen Augenblick herrschte Stille. Dann sagte der Graf mit erstickter Stimme: »Clémentine! Du bist Clémentine!«
»Nein, mein Lieber«, warf die Gräfin schnell ein, »es ist Canéda, Clémentines Tochter.«
Der alte Mann schien sie nicht zu hören. »Du bist zurückgekommen, Clémentine!« rief er. »Das ist gut! Ich wußte doch, daß du zur Vernunft kommen würdest. Saumac war ganz traurig, weil du verschwunden bist. Er liebt dich. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, dessen Liebe so groß ist. Ich mußte ihm sagen, daß wir dich nicht finden können, aber jetzt wird alles gut! Alles!« Er lächelte und sagte zu seiner Frau: »Schick einen Boten zu Saumac und laß ihn holen. Sag ihm, daß Clémentine hier ist. Der arme Mann, er hat mir leid getan. Er ist so unglücklich gewesen!«
Canéda sagte: »Sieh mich an, Großvater. Ich bin nicht Clémentine, sondern deine Enkelin Canéda.«
»Du bist nicht Clémentine?« Er sprach die Worte sehr langsam, als mache es ihm Mühe.
»Nein, Großvater. Meine Mutter ist tot.« Es fiel ihr schwer, das zu sagen, aber ihre Stimme war klar und deutlich.
Einen Augenblick drang die Bedeutung ihrer Worte nicht zu dem alten Mann vor. Dann sagte er plötzlich mit einer so lauten Stimme, daß sie zusammenfuhr: »Was sagst du da? Clémentine kann nicht tot sein! Sie muß Saumac heiraten. Es ist alles in die Wege geleitet. Wo ist sie? Wohin ist sie gegangen? Was haltet ihr vor mir geheim?«
Seine Stimme wurde immer lauter und erregter, und Armand lief zur Tür.
Die beiden Diener, die den Grafen in den Salon geleitet und vor der Tür gewartet hatten, kamen schnell herein und auf ihn zu.
»Clémentine! Wo ist Clémentine?« rief der alte Mann, als sie ihn aus dem Sessel hoben.
»Kommen Sie, Herr Graf«, sagte einer der Diener. »In Ihrem Zimmer wartet ein Glas Wein auf Sie.«
»Ich will keinen Wein«, antwortete der alte Mann ärgerlich. »Ich will Clémentine! Wo ist sie? Morgen findet die Hochzeit statt. Der Herzog wird heute abend hier sein, und wie sollen wir ihm erklären, daß wir sie nicht finden können? Sucht sie, ihr Dummköpfe! Sucht sie! Sie kann nicht weit von hier sein!«
Sie schleppten ihn zur Tür, und als sie ihn über die Schwelle trugen, schrie er: »Clémentine! Clémentine! Wo bist du, Clémentine?«
Canéda hörte das Echo seiner Stimme, während sie ihn durch den Korridor fortschafften. Sie stand da, merkwürdig erschüttert von dem Vorfall.
Dann sah sie, daß ihre Großmutter ein Taschentuch an die Augen gedrückt hielt.
»Ich glaube, du solltest deiner Großmutter ein Glas Wein eingießen«, sagte Madame de Goucourt leise zu Armand.
Froh, daß er etwas tun konnte, ging Armand zur Tür, als zwei Diener mit einem Silbertablett, auf dem sich Gläser und Gebäck befanden, hereinkamen.
Armand nahm ein Glas von dem Tablett und brachte es seiner Großmutter. »Trink das«, sagte er, »und reg dich nicht auf.«
»Sein Zustand war in den vergangenen beiden Tagen besser«, sagte die Gräfin mit leiser Stimme. »Ich wollte nicht, daß Canéda erfährt, wie es mit ihm steht.«
»Sie hätte es früher oder später doch erfahren«, sagte Armand begütigend, »und ich habe das Gefühl, sie versteht alles.«
Er blickte Canéda an, während er das sagte, als ob er wünschte, daß sie ihn unterstützte, und sie beeilte sich zu sagen: »Selbstverständlich. Es tut mir leid, daß es ihn so aus der Bahn geworfen hat, daß Mama weggelaufen ist.«
»Seit damals ist er nie mehr ganz er selbst gewesen«, sagte die Gräfin gedämpft. »Manchmal ist er der alte, aber durch die Sorgen, die wir in letzter Zeit haben, ist sein Zustand viel schlimmer geworden.«
»Sprich nicht darüber, Großmutter«, sagte Hélène. »Du weißt, daß du dich dann immer aufregst.«
»Ja, natürlich«, stimmte ihr die Gräfin zu. »Es ist dumm von mir, mich aufzuregen.«
Während sie sich die Augen trocknete, zog Madame de Goucourt ihren Stuhl näher an sie heran, und Canéda stand auf, um ans Fenster zu treten und den Garten zu betrachten. Er war wie der von Versailles angelegt, wirkte aber ungepflegt.
Hélène und Armand stellten sich neben Canéda ans Fenster.
Armand bot ihr ein Glas Wein an. Dann sagte er so leise, daß es seine Großmutter nicht hören konnte: »Es tut mir leid, daß du so kurz nach deiner Ankunft in einen derartigen Auftritt verwickelt wurdest, aber wir hätten nie gedacht, daß dich
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