Eine französische Affäre
Eltern von Armand und Hélène, in Paris waren.
Jetzt sagte Hélène: »Papa versucht, von einer Bank oder von Freunden ein Darlehen zu bekommen; sonst weiß ich nicht, was aus uns werden soll.«
Canéda zögerte etwas, bevor sie die Frage stellte, von der sie wußte, daß sie lebenswichtig war. »Ihr baut Wein an. Sind die Rebstöcke tatsächlich von der Reblaus befallen?«
Hélène nickte. »Es hat vor fünf Jahren begonnen, aber es wird jetzt zunehmend schlimmer. Es scheint nichts zu geben, womit wir der Ausbreitung Einhalt gebieten können.«
»Es muß doch aber ein Mittel dagegen geben!« rief Canéda.
»Nein.«
»Wie soll es dann weitergehen?« fragte Canéda.
Einen Augenblick lang antwortete Hélène nicht. Dann sagte sie: »Wir werden nicht mehr hier leben können und das Schloß aufgeben müssen. Ich weiß nicht, wohin wir gehen sollen oder was Papa tun wird. Wir leben ausschließlich vom Weinbau.«
Canéda verstand jetzt, warum ihre Großmutter so verzweifelt war und an Harry geschrieben hatte.
Es war ihr auch ohne Worte klar, daß kein Franzose Hélène ohne Mitgift heiraten würde und daß Armand, auch wenn er eines Tages der Graf von Bantôme sein würde, von keiner Familie, die ihre Tochter mit einer Mitgift ausstatten konnte, als Freier akzeptiert werden würde.
Ihr war, als müßte sie mitansehen, wie etwas, das immer stark gewesen war, elend zugrunde ging, und sie wußte, wie todunglücklich ihre Mutter dieser Gedanke gemacht hätte.
»Aber ich sollte dir nicht so traurige Dinge erzählen«, sagte Hélène hastig. »Es ist so erfreulich, dich hier zu haben, und du bist so schön. Man hat uns immer erzählt, daß deine Mama die Schönheit der Familie war; jetzt weiß ich, daß es wahr ist. Morgen werde ich dir ein Porträt von ihr zeigen.«
»Gibt es denn hier eines?« fragte Canéda begierig.
»Sogar mehrere«, sagte Hélène. »Aber sie sind alle versteckt worden, weil sich Großvater aufregt, wenn er sie sieht. Wir werden sie hervorholen, und ich nehme an, wenn du Großmutter fragst, wird sie dir eines mit nach England geben.«
»Das würde mich freuen«, rief Canéda.
»Ich möchte, daß du mir von deiner Mutter erzählst«, sagte Hélène. »Für mich ist es, wie ich schon gesagt habe, die romantischste Geschichte, die ich je gehört habe, daß sie den Mut aufbrachte fortzugehen, obwohl ihr Brautkleid bereit lag, ihre Aussteuer gepackt und das Haus voller Gäste und Geschenke war.«
Canéda lächelte. »Sie war eben verliebt.«
»Ich weiß«, sagte Hélène. »Das ist es ja, was das Ganze so wunderbar macht, daß die Liebe ihr den Mut gab, alles zu verlassen, was zu ihrem Leben gehörte – und sogar den Herzog.«
Canéda lächelte wieder. »Wenn man liebt, ist ein Titel nicht wichtig.«
»Das hat Tante Clémentine wirklich bewiesen«, sagte Hélène, »aber ich bin sicher, daß ich, wenn ich einen Herzog heiraten könnte, nie den Mut aufbrächte, mit einem Mann ohne Titel durchzubrennen.«
»Du würdest genauso wie meine Mutter handeln, wenn dir ein Mann begegnete, den du wirklich liebst«, erwiderte Canéda.
Hélène lächelte sie an, aber Canéda wußte, daß sie nicht ganz überzeugt war. Jedes französische Mädchen hatte den Ehrgeiz, in der Gesellschaft eine Position einzunehmen, die unangreifbar war.
Genau das hätte der Herzog von Saumac ihrer Mutter geboten, doch die war mit einem armen Schlucker von Engländer davongelaufen.
Der Gedanke durchfuhr sie, daß sie, wenn sie dem Herzog nie begegnet wäre, auch nie wirklich verstanden hätte, warum ihre Mutter so viel aufgegeben hatte.
Zwar hatte sie gewußt, wie glücklich sie mit ihrem Vater war. Gleichzeitig hatte sie aber auch gemerkt, wie schwer es war, mit wenig Geld auszukommen, wie hart es für ihren Vater war, niemals gute Pferde zum Reiten zu haben.
Canédas Verstand war kritisch genug, sie, sobald sie alt genug war, zu der Frage zu veranlassen: »Hat es sich wirklich gelohnt, derart viel dafür aufzugeben, Mama?«
Sie hatte dabei nicht nur an den Herzog gedacht, sondern auch an die mächtige, reiche Familie Bantôme mit ihren vielen Morgen Land im Périgord und ihrem prächtigen Schloß.
Wenn sie sah, wie ihre Mutter ein Kleid betrachtete, das aus der Mode gekommen war, und sich dabei überlegte, was sie machen konnte, damit es sich noch ein bißchen länger tragen ließ, hätte sie manchmal gern gesagt: »Wie konntest du nur, Mama, so viel für Papa aufgeben, auch wenn er ganz wunderbar ist?«
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