Eine franzoesische Affaere
einem. Er drehte, nachdem er alles losgeworden war, klappte
die Abdeckung aus Acrylglas wieder über die teilweise sehr alten und kostbaren
Manschetten, die er entweder seit Jahren gar nicht mehr oder nur zu besonderen
Anlässen trug, und ging dann endlich ins Bad, um den Kasten zu holen, mit dem
er Sids Wunden versorgen konnte. Er checkte den Inhalt kurz auf Vollständigkeit
und kehrte dann damit ins Wohnzimmer zurück.
Sid hob den
traurig schimmernden Blick zu ihm an. Sie sagte kein Wort, hoffte er würde den
Ruf ihres Herzens hören, doch das war natürlich nur möglich, wenn er genauso
wie sie empfinden würde.
Er kniete vor ihr, als wäre er ein Ritter, der einer Lady huldigen wollte. Sid
konnte nichts gegen diese aufsteigenden Vergleiche tun, wenn sie es mit ihm zu
tun hatte. Sie sah mit großen Augen dabei zu, wie er geschickt die Wunden
versorgte, wobei er ihre Unterschenkel umfassen musste. Das Gefühl seine Hände
auf ihrer nackten Haut zu spüren, war weit schlimmer als das Brennen der Bisse,
die die Ratten ihr beigebracht hatten.
„Ich sollte…
vielleicht doch in die Notaufnahme gehen…? Ich weiß nicht mehr, wann ich die
letzte Impfung gegen Tetanus bekommen habe.“, flüsterte Sid beklommen, die eine
Heidenangst vor Nadeln hatte.
Aber in seinem Erste-Hilfe-Kasten fand sich auch dafür eine Lösung, die sie
erzittern ließ. Beinahe hätte sie gesagt, dass sie so etwas nicht brauchen
würde, doch es wäre wirklich leichtsinnig, sich gegen mögliche Komplikationen
nicht behandeln zu lassen. Wäre das doch auch nur so einfach ihre Gefühle
betreffend. Ein kurzer Pieks und alles wäre vorbei.
Mit einem tauben Gefühl in den Fingern knöpfte Sid ihren Sweater auf und
entblößte ihren rechten Oberarm, indem sie die Jacke bis zu den Ellebogen
herunterzog. Sie konnte nicht hinsehen, weil sie wohl sonst schreiend davon
gelaufen wäre. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und sie
wünschte sich gerade, ganz woanders zu sein. Nach dem Erlebnis von vorhin
erschien ihre Angst absolut absurd, aber sie konnte nichts dagegen tun.
Je déteste
piqûres… je déteste piqûres… Je les vraiement déteste!
(Ich hasse Spritzen. Ich hasse sie wirklich.)
Sid sog scharf den Atem ein, als sie den Piekser in den Arm spürte und sank mit
einem erleichterten Aufseufzen gegen die Lehne der Couch, als Malcolm das
Teufelsding aus ihrer Haut zog. Unter schweren Lidern beobachtete sie, wie er
die kleine Punktionswunde mit einer kleinen sterilen Kompresse abdeckte und
dann etwas Druck ausübte, damit die Blutung stoppte.
„ Un
chevalier… un combattant… un docteur… un amant*… “, wisperte sie leise und
streckte ihre Hand nach ihm aus, um ihn vorsichtig an der Wange zu berühren.
(*Ein Ritter... ein Kämpfer... ein Arzt... ein Liebhaber...)
„Wer bist du wirklich, Malcolm…? Sag mir bitte… je t’enpris … Was ist
dort vorhin auf dem Platz geschehen? Woher bist du so plötzlich gekommen? Und
wenn du nicht gewesen wärest, was wäre dann passiert...?!“
Sid schluckte schwer bei der Erinnerung an die unglaublich großen Tiere. Sie
war schließlich in Paris groß geworden, da kam man nicht darum herum, einigen
dieser Exemplare zu begegnen. Sie hatte jedoch niemals von einem koordinierten
Angriff einer ganzen Kolonie gehört. Ratten gingen Konflikten aus dem Weg, sie
planten ihre Angriffe nicht und verfolgten auch keine Menschen. Das waren
Ammenmärchen aus schlechten Horrorfilmen.
Sid spürte das Pochen der Bisse und beugte sich zu Malcolm vor, ohne ihn aus
den Augen zu lassen.
„ C’ était
horrible … Du hast… mein Leben gerettet, nicht wahr?“
Sid erschauerte bei der Vorstellung, dort allein von einem Mob wütender
Nagetiere angegriffen zu werden, die vom Teufel besessen schienen. Sie hätte
doch keinerlei Chance gegen die Tiere gehabt. Ihr Blick tastete mit
verzweifelter Intensität jedes Detail seines Gesichtes ab. Trotz der Angst und
ihrer anderen Sorgen konnte sie nicht anders, als sich zu wünschen, sie könnte
irgendwie zu ihm durchdringen, die Zeit zurück drehen und bei ihm bleiben.
„ Si tu dis …
Wenn du sagst, dass ich mir das alles eingebildet habe… werde ich dir nicht
glauben. Ich mag in deinen Augen vielleicht total überspannt sein, aber ich bilde
mir solche Dinge nicht ein! Das war kein Traum!“
Sids Augen funkelten mit einem Hauch Wut darin, da sie nicht bereit war, sich
mit Ausflüchten abspeisen zu lassen. Ihr ganzes Leben war seit gestern
irgendwie aus den Fugen
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