Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
Blätter bedeckt war, leuchtete auch ihr Schatten blau. Vorsichtig legte ich ihr den Meteorit in die Hand, den von Barbara Berlin gestohlenen Himmelsstein, dann setzte ich mich vor sie hin und sah gebannt zu, wie sie satt wurde. Sie hielt sich den Stein vors Gesicht und trank sein Licht. Ein kleines, blasses, in hellblauem Licht schwimmendes Gesicht, vorsichtig lehnte ich meine Stirn an ihre. Auf ihrem Rücken ertastete ich die Spuren der Schläge, die Narben von Schnee und Eis, die Striemen der Gurte des Weidenkorbes. Die Frau von Emil Arbanassi atmete durch den Himmelsstein hindurch mir in den Mund. Da stand auch schon Barbara Berlin vor dem Schuppen und schrie herum. Ihre Stimme war so, daß jemand, der die Spurensucherin nicht kannte, sie auch für Schmerzensschreie hätte halten können.
    Soll ich beten, schrie Barbara Berlin.
    Soll ich beten, schrie Barbara Berlin.
    Soll ich beten?
    Jetzt können Sie beten, Barbara. Verschließen Sie die Tür zu diesem Schuppen mit Ihrem Gebet, bevor Emil Arbanassi kommt, sagte ich und ließ mein Gesicht in ein strudelndes, tiefgründiges Blau gleiten.
    Barbara Berlin versuchte mit jaulender Stimme zu beten.
    Ich bete, rief sie, ich bete.
    Wie heißt du, fragte ich die Frau.
    Zaira Arbanassi, flüsterte sie.
    Ist gut, Zaira, ich heiße Gott, und ich bin nur Hilfsarbeiter.
    Ich verstehe, Herr, flüsterte Zaira Arbanassi und gab mir noch von dem Blau.
    In der ganzen Gegend halfen die Vögel Barbara Berlin beim Beten, wie sie mit ihren kleinen, toten Körpern auf die Erde schlugen. Indes mit seinem langen Stock fuchtelnd Emil Arbanassi auf uns zukam, dessen Frau blau war, und dennoch haben wir sie in Jakulevo gefunden.

Baba Franciska
    Ich will ja nicht angeben, aber wir leben in einem Land, in dem man oft menschliche Überreste findet, Leichen oder achtlos herumliegende Körperteile. Und es hat sich bei uns die Gewohnheit eingebürgert, daß jeder für seine Toten zuständig ist. Der Preis für unser elendes, erbärmliches Leben ist, daß wir nur in das Gesicht eines Leichnams zu blicken brauchen, auf den wir neben der Kaserne, bei der Sandgrube oder in unserem Gemüsebeet stoßen, um das zähnefletschende Grinsen des Todes nie wieder zu vergessen. Auch ich habe schon Leichen gefunden, nicht nur eine, doch die meisten hat Siposka Sipos aufgetan, unser Verrückter, der immer nach Palič zum Baden ging, obwohl er gar keinen Reisepaß hatte.
    Siposka Sipos hatte vor einigen Monaten ein Massengrab entdeckt, aber das ließen wir nicht gelten. Das Massengrab paßte nicht zu unserem soliden Wettbewerb, bei dem Übertreibungen nicht üblich waren. Dazu waren wir weder hungrig noch verspielt genug. Von Siposka Sipos’ Massengrab, das unter einem Maisfeld die Knochen von etwa fünfundzwanzig Menschen barg, darunter die von Greisen, Kindern und sogar von Pferden, stellte sich später heraus, daß Vorfahren von Milenka Carica ihre Toten dort begraben hatten.
    Während jenes Vorfrühlings hatten sich die Leute von Milenka Carica auf unsere Felder verirrt, einige Trampelpfade vollgeblutet und vollgekotzt, manch eine Senke, eine Weide oder Erdgrube beweint, bis sie schließlich den bittersüßen Achselgeruch von Baba Franciska spürten.
    Baba Franciska war die schönste Frau weit und breit, und sie hatte sogar einen Goldzahn.
    Baba Franciska war meine Liebste.
    Ich sehnte mich nach Baba Franciska, ich träumte von ihr, polierte ihren Schatten, zählte vor dem Einschlafen ihre Fußspuren, ihren Duft stellte ich mir vor, wenn ich mich befriedigte, bei ihrem Namen suchte ich Heilung, wenn mich irgendein Leiden befiel und quälte, doch sie lachte nur über mich. Ich weinte, als ich erfuhr, daß Milenka Caricas Leute ihr den Bauch mit Speichel besudelt hatten. Siposka Sipos hatte sie gefunden. Unweit der Sandgrube von Berevac war sie verscharrt worden, unbekümmert, achtlos, wie Milenka Caricas Leute eben heutzutage beerdigen. Siposka Sipos, der oft in dieser Gegend spazierenging, erzählte, ihn hätte plötzlich ein Licht geblendet. Als hätte ihm jemand mit einem Taschenspiegel in die Augen geleuchtet. Zuerst hatte er an eine Erscheinung geglaubt. Blinzelnd tastete er sich zur Lichtquelle vor und betete, er möge nicht nur ein Stück von Gott finden, denn er, sagte Siposka Sipos, brauche nicht bloß ein Stückchen von Gott, er brauche ihn ganz. Egal. So entdeckte er den vor Speichel schimmernden Knöchel von Baba Franciska, der aus der Erde ragte, und die Nägel an ihren Zehen funkelten. Siposka

Weitere Kostenlose Bücher