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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Stadt. Ragusa begrüßte mich. Ein alter Mann saß auf einer der bemoosten Steinbänke in der Prijeko-Straße. Er betrachtete mich eingehend, mit unbewegter Stirn. Dann drehte er sich mit seinen langen, gelben Fingern eine Zigarette. Er wird schon noch damit herausrücken, was er hat, dachte ich mir.
    Hast auch du die Stadt beschießen lassen?
    Ich verstand, was er meinte.
    Ich habe sie niemals beschießen lassen, ich habe nur viel von ihr erzählt, sagte ich. Immer und überall habe ich das Gespräch auf sie gebracht. Wissen Sie, Alter, ob man will oder nicht, man wird schließlich so wie die eigenen Geschichten. Liebe, Verrat – zuweilen macht das keinen Unterschied. Womöglich ist auch das eine Krankheit. Ich habe erzählt, Alter, wie Ragusa beschossen und bombardiert, wie es mit Gewehrsalven überzogen wird. Wie das Blau des Hafens verwundet wird. Eines Tages dann erwachte ich, und auch meine Haut roch nach Schießpulver.
    Der alte Mann paffte gedankenverloren, von Zeit zu Zeit nahm er eine Traube aus dem Schüsselchen auf seinem Schoß und steckte sie in den Mund. Aber er hatte keine Zähne. Er zerdrückte sie mit dem Gaumen.
    Ich heiße Ivan Dubrovnik, sagte er.
    Ich bin Wolf, nickte ich.
    Du scheinst ein grausamer Mensch zu sein.
    Das bin ich, Alter, grausam und einfältig. Ich bin verliebt.
    Ivan Dubrovnik nahm wieder eine Traube, aber er steckte sie nicht in den Mund, sondern ließ sie hinter sich kullern. Kurz darauf kam ein junges Mädchen, die Traube in der Hand. Sie wiegte den Kopf, sabberte. Ihr bunter Rock war bis zum Schenkelansatz hochgerollt. Sie trat zu mir und steckte mir die Traube in den Mund, nur damit ich ihr Leben kennenlerne. Noch nie habe ich etwas derart Süßes geschmeckt. Das Mädchen war verrückt geworden, als Dubrovnik bombardiert wurde. Sie hieß Eva Dubrovnik, und seit damals altert sie nicht, nur ihr Speichel tropft, und im Traum spricht sie zu dem wund gewordenen Blau über dem Meer. Eva Dubrovnik war nicht vom Dröhnen der Kanonen, von den Explosionen der einschlagenden Geschosse, dem schmerzlichen Krachen der Steinmauern oder den ständig fallenden Gesteinsbrocken verrückt geworden. Auf der Terrasse im Hof ihres Vaters stand ein kleiner Holztisch. Darauf bebten die Gläser mit dem Mineralwasser, solange der Krieg dauerte, und auch während der unheilschwangeren Pausen zwischen den Bombardements bebten sie. Eva Dubrovnik starrte sie wie besessen an, bis es sie schließlich mit einem schrillen Schrei im blutigen Morgengrauen der widersinnigen Welt der Normalen, Weisen und Klugen entriß.
    Ich faßte das Mädchen an der Hand, es gehörte mir.
    Ich bezahlte Ivan Dubrovnik mit Geld und Geschichten.
    Dann reisten wir ab, wir mußten uns beeilen. Wenn ich zur Sonne blickte, hörte ich Wehklagen. Eva Dubrovnik war tatsächlich verrückt. Unterwegs machten wir dennoch bei den Grabungen von Jakulevo Halt. Milenka Caricas Leute beobachteten uns aus dem Dickicht, aber das interessierte mich nicht. Wer weiß, in welchem Stadium die Freilegung gerade war, die von einem einbeinigen Engländer mit verstümmelter Hand geleitet wurde. Er hatte es nicht leicht. Wenn auf der Ostseite des Ausgrabungsfeldes die Erde sich zu erschöpfen schien, wenn die Arbeiter vermeinten, die Schichten wüßten keine Lieder oder Gedichte mehr von neuen Menschenschicksalen zu wehklagen, dann stürzte beim westlichen Becken der Ausgrabungen die Mauer ein, und dahinter gähnte eine neue Höhle oder der Schlund eines Erdrisses die Leute an und ließ wissen, daß die Hefe weitere Knochen, Nägel und Haarbüschel in sich berge. Ich stand bei den Grabungen von Jakulevo, starrte die künstlichen Hügel und Staubhaufen an und hatte irgendwie das Gefühl, daß die Arbeiten nie zu einem Ende kommen würden.
    Nie kann man damit aufhören, und nie hat es ein Ende.
    Sei stark, Wolf, kam mir plötzlich der Gedanke.
    Eva Dubrovnik floß auch jetzt der Speichel, während sie wortlos bebend auf die Landschaft starrte. Doch das glänzende Silber des Speichels wurde immer dunkler, ja, Eva Dubrovniks Speichel war von Blut verfärbt, und das bedeutete nichts anderes, als daß ihr Verstand sich klärte, daß das wohltätige Dunkel, das ihren Geist umgab, sich lichtete. Wenn aber Eva Dubrovnik zur Vernunft kam, war mein Plan dahin. Ich beugte mich ganz nah zu ihr.
    Wie wäre es, wenn sie plötzlich alle auferstehen würden, fragte ich leise. Ich sah, wie sich mein Gesicht in ihren Augäpfeln spiegelte.
    Wie wäre es, wenn sie plötzlich

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