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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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Sipos grub die Leiche von Baba Franciska aus, dann beweinte er sie bitterlich, wie es sich gehört, und brach ihr den Goldzahn heraus, den noch ein Belgrader Dentist eingesetzt hatte. Als er fertig war, schlenderte Siposka Sipos zur Kneipe hinunter, gab Hinz und Kunz einen aus, den blassen Ungarn genau wie den vom vielen Brüllen heiseren Serben, und natürlich grölte er, es sei ein Festtag, heiho, Fest und Sieg, denn er hatte den zehnten Toten in diesem Jahr gefunden.
    Aber den Leuten blieb nicht einmal Zeit, überrascht zu sein.
    Nach der vierten Runde Raki und dem wer weiß, wievielten Kasten Pivo kam Baba Franciska in die Kneipe gestürzt. Das Haar wirr, das Kleid zerfetzt, ihr schöner Alabasterhals voller Staub, das Gesicht von Matsch und Sand verdreckt. Mit einem Wort, sie sah ziemlich erbärmlich aus. Aber an welcher Frau gehen einige Tage Scheintod schon spurlos vorüber, noch dazu unter der kalten Erde, wo Würmer und Nager sich über das Fleisch hermachen? Obendrein fehlte dem Mädchen auch noch der Goldzahn. Das sah man ihrer wütenden Grimasse sofort an. Baba Franciska, meine Teure, meine Liebste. In Wirklichkeit ist es nicht die Sehnsucht, die den Menschen verdirbt. Sondern das sinnlose Sich-Festklammern an Gewohnheiten, wenn man sich nicht mal vorstellen kann, daß anders sein könnte, was ist. Mit überschnappender Stimme verlangte Baba Franciska von Siposka Sipos ihren Goldzahn zurück; sie warf dabei den Spielautomaten um, stieß Bierkrüge und Schnapsgläser vom Tresen. Sie tat das so schön, daß ihre Erregung keinem etwas ausmachte.
    Siposka Sipos war trotzdem nicht umzustimmen.
    Er argumentierte, die fiebrigen Leute Milenka Caricas mit den klebrigen Stirnen hätten so lange an Baba Franciskas Herz geleckt und geknabbert, bis es stehengeblieben sei, das heißt, zu pochen aufgehört habe, Baba Franciska folglich nicht mehr gelebt habe, doch gebe es die von ihnen allen respektierte Vereinbarung, wonach Wertgegenstände und Kleider der Toten dem Finder zustehen, quasi als Belohnung. Wenn also Baba Franciska nicht mehr am Leben war, hatte er, Siposka Sipos, dem Mädchen den Goldzahn zu Recht herausgebrochen, ja es wäre sogar nachlässig und unaufmerksam von ihm gewesen, hätte er es nicht getan. Dafür daß Baba Franciska sich später die Mühe gemacht habe, aufzuerstehen, könne er nun wirklich nichts. Das hätte sie sich früher überlegen sollen. Schließlich weiß doch jeder, wie ausgeliefert man ist nach seiner Auferstehung, oft kehrt man geschändet und bis auf die Knochen geplündert aus dem Nichts, das wir auch Tod nennen, zurück, und überhaupt, deutete Siposka Sipos auf das vor der Kneipe zerbröckelnde Steinkreuz, Baba Franciska solle doch an den denken, der einst Jesus Christus genannt wurde, manche seiner Jünger nennen ihn heute noch so, was also mit ihm nach seiner Auferstehung geschehen sei; er, Siposka Sipos, schätze das beispielsweise so ein, daß, wenn der Jesus Christus bis zu seiner Kreuzigung mehr oder weniger Herr seiner Lage gewesen sei und auf den Lauf der Dinge beträchtlichen Einfluß gehabt habe und Urheber, Schöpfer wundersamer Begebenheiten, die Vernunft übersteigender Geschehnisse gewesen sei, daß man dies nach seiner Auferstehung im Grunde nicht mehr behaupten könne, somit also Jesus Christus, wäre er tot geblieben, in Glück und Frieden im Nichts, das man auch Tod nennt, hätte ruhen können, hingegen er mit der Auferstehung seine Lage gründlich verschlechtert, sich geradezu unmöglich gemacht habe, denn seither müsse er, und das könne Baba Franciska auch ohne Goldzahn einsehen, ständig der Tatsache ins Auge blicken, daß er keineswegs Herr der Lage ist und nicht mehr den geringsten Einfluß auf den Lauf der Dinge hat, deshalb also, sagte Siposka Sipos und wurde immer leiser, bitte er Baba Franciska höflich, nicht so herumzukreischen, nicht hysterisch zu sein, keine Forderungen zu stellen und vor allem keine Schnapsgläser mehr umzustoßen, den Goldzahn werde er nicht zurückgeben.
    Waf denn der Jefuf Kriftuf mit ihrem Goldfahn fu tun habe, fragte Baba Franciska, wegen des fehlenden Zahnes lispelnd.
    Daß hier, zeigte Siposka Sipos, in den Zahn sein Name eingraviert sei. Worauf Baba Franciska ziemlich erschüttert fragte, ob er ihn auch dann nicht zurückgeben würde, wenn er ihr Mohnblumen zwischen die Schenkel stecken dürfe, wenn er den Sonnenaufgang unter ihren Brüsten lecken, wenn er ihr Fischschuppen an die Wirbelsäule kleben dürfe, worauf der

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