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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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alle vor uns stehen würden, wenn sie lachend oder ärgerlich, rotznäsig oder nasebohrend hier vor uns stehen würden, hungrig und unglücklich.
    Eva Dubrovnik atmete, als wäre sie geschlagen worden.
    Er heißt Siposka Sipos, flüsterte ich. Eines Tages hat er seine Familie tot auf der Wiese gefunden. Er heißt Siposka Sipos und hat sich für das Glück entschieden.
    Eva Dubrovnik schüttelte ungläubig den Kopf.
    Siposka Sipos hatte über den Toten gesessen und verkündet, daß er der glücklichste Mensch weit und breit sein werde.
    Eva Dubrovnik lachte wie ein Wasserfall, sie kicherte, ihre Schultern bebten und ihr Speichel troff wieder hell und schimmernd. Ich war beruhigt. Einige Tage später kamen wir zu Hause an. Dreck unter den Nägeln, das Haar zerzaust. Das Mädchen folgte mir gehorsam, nie sagte sie, sie habe Hunger, sie klagte nicht über Durst, oder daß mein Freund, der Wind, sie störe, der uns auf Schritt und Tritt folgte und ihr ständig neue Kapitel über die Freilegungen von Jakulevo ins Ohr raunte. Nachts erreichten wir die Dorfgrenze.
    Ich bin Wolf, flüsterte ich am Ortsschild.
    Wolf ist wieder da, zischte ich dem übelriechenden Dunkel zu, worauf die Hunde aufhörten zu winseln. Das Mädchen versteckte ich in meinem Schuppen, den Mund band ich ihr mit einem Tuch zu, damit ihr Speichel nicht leuchtete. Und schon lief ich zum Haus meiner Liebsten. Da roch es nach Mut, nach Tod. Das Fenster von Baba Franciska stand offen, dunkel und leer.
    Bist du kein Engel mehr, teure Baba Franciska?
    Auch Fie haben mich verlaffen, Wolf, keuchte drinnen meine Geliebte.
    Ich liebe dich und werde nur dich lieben, winselte ich unter ihrem Fenster.
    Geh nur, geh, Wolf, du verlogener, graufamer Menf!
    Ich gab die Hoffnung nicht auf. Am Morgen streute ich mir als erstes Mohn in den Mund. Siposka Sipos saß vor der Kneipe und spielte mit dem Goldzahn.
    Was willst du, Wolf, blinzelte er mich mißtrauisch an.
    Und ich, der ich grausamer und schlechter war als er, begann ihm zu erzählen. Jedes meiner Worte erzählte von Eva Dubrovnik, doch ich hütete mich, den vor Speichel glänzenden, süßen Namen des Mädchens auszusprechen. Der Blick von Siposka Sipos wurde immer starrer, auf seiner Stirn zerrann der Schimmel des Hasses. Ich erzählte vom Klingen und Beben der Gläser von Dubrovnik, vom Pfeifen der Bomben, vom stillen, tödlichen Kullern der Trauben auf den jahrhundertealten Steinen, ich erzählte von den pickeligen Schultern des Mädchens, ihren schrumpligen, kleinen Brüsten, ihrer trocken glühenden, stummen Scham, und ich erzählte ihm von dem Messer, mit dem sie sich nach den Ereignissen von Jakulevo geküßt hatte. Siposka Sipos schwieg wie die Toten, die nie wieder auferstehen. Und das reichte mir. Ich lag richtig damit, wie ich Scheiße baute. Siposka Sipos mochte verrückt sein, bis in die letzte Gehirnzelle irrsinnig, doch jetzt hatte ich ihn in der Hand. Ich hatte Macht über ihn.
    Nur der Zustand meiner Liebsten machte mir Sorgen. Nicht einmal das nächtliche Dröhnen der Flugzeuge interessierte sie, sie spähte nicht zum Himmel, forschte nicht nach den herabhängenden, schmutzigen Bäuchen der Wolken. Baba Franciska war krank wie der vergessene Honig. Sie magerte ab, die Haare gingen ihr aus, ihre Haut wurde gelb, und nachts summte sie von den kalkweißen Würmern in der Sandgrube von Berevac, mit denen Milenka Caricas Leute sie damals bekannt gemacht hatten.
    Ich saß an ihrem Bett und weinte.
    Ich heiße Wolf, flüsterte ich.
    Ich bringe dir deinen Goldzahn zurück, Baba Franciska.
    Einige Tage später, ganz wie ich es geplant hatte, flehte mich Siposka Sipos inständig an, ihm Eva Dubrovnik zu geben. Ich gab sie ihm nicht. Ich trat über den Schatten des Verrückten hinweg, blickte nicht einmal zurück. Er rannte mir hinterher, zerrte mich am Arm, schlug mich. Brüllend verlangte er nach Eva Dubrovnik. Ich erzählte weiter. Ich ließ zu, daß er mich schlug, daß er mich quälte, meinen Mund verfluchte. Dann wurde er leise wie mein Freund, der Wind, der gerne den Sonnenuntergang bewundert und dabei sein Leben unterbricht. Siposka Sipos saß mir gegenüber und beobachtete mich. Schließlich schleuderte er mir den Goldzahn ins Gesicht. Ich brachte ihn zu dem Mädchen in meinem Schuppen. Ich gab ihm Eva Dubrovnik. Zwei Verrückte hatten sich vor meinen Augen gefunden, streichelten, küßten einander, und keiner, der sie nicht kannte, hätte behaupten können, sie wären verrückt.
    Noch am selben Tag

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