Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
fragte die Glöcknersfrau, ob es ihr nicht schon mal so vorgekommen sei, daß es nicht Hoffnung, Sehnsucht, nicht mal die Pläne sind, die einen von einem Tag zum anderen tragen, sondern die nackte Verzweiflung. Ich habe das Gefühl, mit mir ist es schon soweit. Vernunftgründe spielen keine Rolle mehr. Zeitweise versinke ich in einen seltsamen Zustand, wie beim Tanzen, am Spielautomaten, bei einem heftigen Liebesakt, oder vielleicht wie einer, der still, aber zielstrebig Unkraut jätet. Unkraut jäten und spielen. Man könnte es auch so ausdrücken, daß ich von den dunkleren Seiten der Ekstase spreche, während die Fliege auf meinem Mund sitzt, wie zum Beispiel jetzt.
Julek Bambam, der gelauscht hatte, wurde nachdenklich, ja, was für ein Gefühl soll denn das sein.
Es ist eine Art Poesie, sagte ich. Ganz so, als wäre ein Gedicht in mir, dessen Worte allesamt giftig sind.
Die Frau des Glöckners rief wieder zu Julek Bambam herüber, he, hallo, Julek Bambam, siehst du, dieser Kerl, dabei zeigte sie auf mich, hat meinen Mann auf dem Gewissen, du solltest ihm gründlich auf die Finger sehen.
Darf ich dich mal aufs Kreuz legen, witzelte Julek Bambam mit einem fragenden Blick, worauf wir alle drei lachten.
Ich möchte von der Verzweiflung sprechen, wiederholte ich, während ich die Frau musterte, die schon über mich lächelte. Mit so vielen Dingen kann man seine Verzweiflung ausdrücken. Da gibt es zum Beispiel die Worte, die sind nun wirklich zum Verzweifeln. Oder man kann Skulpturen bosseln, fabrizieren. Na, und erst die Musik! Aber ich kenne nichts Verzweifelteres als das Glockenläuten. Es wird unter dem Himmel gemacht. Wenn man zum Beispiel an sich selbst, an diesem unglückseligen Stück Fleisch herumzerrt, ist das auch ein bißchen wie Glockenläuten. Ja, genau! Haben Sie schon einmal eine verrückte Fliege gesehen, Julek Bambam.
Doch der Polizist antwortete auch jetzt nicht, weil er nur Fragen stellen konnte.
Diese Tage, diese Tage.
Am nächsten oder übernächsten Tag redete ich dann weiter.
Ich sagte, daß auch die Fliegen im Herbst verrückt werden, was gar nicht seltsam, sondern naheliegend ist. Mit einer biederen Fliege kann man leben, sozusagen, bis man dann auf einmal die Erfahrung macht, daß die eigene, ehrbare Fliege den Verstand verloren hat. Wieviel Verstand hat eine Fliege? Verrückt kann sie werden, das weiß ich. Ich sitze, sagen wir, in der Küche und höre mit meinem Kofferradio Budapest, denn dort läuft bessere Musik. Ich höre, wie die Fliege fliegt, und plötzlich merke ich, daß etwas anders geworden ist. Der Klang des Flugs. Die dunkle Ekstase der Verzweiflung, wenn deine einzige, bis dahin biedere, anständige, ehrbare Fliege verrückt wird. Glaubst du, mein Sohn, wurde ich mal gefragt. Nein, Vater, ich weiß nur. Und ich weiß, daß das weniger ist. Wissen, daß es Gott gibt, sich beim Glauben aber zurückhalten. Ich weiß, was Schnee, was Sommer ist, ich weiß um den Körper, den Atem eines anderen Menschen. Irgend etwas aus Verzweiflung tun. Das kannte ich bereits. Immenblatt, Herbstzeitlose, Walderdbeeren, Kornelkirsche, der Duft von Maisbrei, all das interessiert mich nicht. Ich will keinen langen Sermon ablassen. Auch ein dummer Mensch kann schlau sein, wie ich. Du entfaltest die bitteren Blüten deiner Seele, du sprichst vom Elend, bis die Frau, deren Blick dich nur wie einen Stein gestreift hat, plötzlich ihre Stirn auf deine Lippen legen will, damit du auch zu dieser sprichst.
Und ich sagte, was ich zu sagen hatte, bis Vera Domitun eines Vormittags herübergetrippelt kam, gerade, als die Glocken hätten geläutet werden müssen. Sie stand in der Tür und schaute.
Ich habe gehört, kleiner Bojar, daß du läutest.
Aber nein. Ihr Gekreisch war für mich das Glockengeläut an jenem Tag. Zur Sicherheit rief ich noch zur Tür hinaus.
Lauschen Sie nicht, Herr Wachtmeister.
Am Abend kam Petre Domitun mit einem amerikanischen Lastwagen. Sein Haar war ausgebleicht, und er trug einen Ohrring. Wie ein Prinz sah er aus. Vera Domitun legte sich auf die Schwelle der Kirche und wartete sehnsüchtig auf ihn. Vergeblich wartete sie. Petre Domitun ließ drei wunderschöne, blitzblanke Spielautomaten in die Kneipe bringen. Er hatte sie von der Lieferung aus Galizien gekauft, als der Krieg ausbrach. Man muß zugeben, daß er seine Vergangenheit nicht verleugnete. Wenn sich Geld aus den Apparaturen ergoß, läuteten sie. Julek Bambam wurde Besitzer der Dede-Kneipe. Und ich der neue
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