Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Zeit hatte sie ein wenig Fett angesetzt, aber sie war ja trotzdem meine Frau. Es war Krieg, und ich hatte eine Frau. Ihr ganzes Leben sehnte sich Lina Pirat nach einer einzigen Rolle. Sie wollte die Julia spielen, das verliebte, tragisch endende junge Mädchen, danach sehnte sie sich, und manchmal, nach einer Brecht-, Wedekind- oder Ibsenpremiere, wurde sie von einer solchen Traurigkeit ergriffen, daß sie so lange trank und sang, bis niemand mehr in der Kantine war, nur sie und der Wirt Romeo Bogdanović, der sie dann auf den Armen zu mir nach Hause brachte.
Habe ich das nicht gesagt, fragte ich, während ich mich am Kopf kratzte.
Ganz und gar nicht, bleckte Bogdan Pirat die Zähne.
Deine Schwester, Bogdan Pirat, ist während einer Vorstellung verschwunden.
Was heißt verschwunden, Schreiber?
In jener Nacht, das heißt ungefähr am zehnten Tag der Luftangriffe, begann ich leise, wir haben gerade die Balkonszene geprobt …
Aus Romeo und Julia, brüllte Bogdan Pirat dazwischen.
Ich nickte wortlos, ich wußte, im nächsten Augenblick schießt er mich nieder wie einen Hund, nur weil ich an jenem tragischen Tag wieder einmal den Souffleur vertreten mußte, ausgerechnet in Romeo und Julia. Deshalb konnte ich mich nicht um seine Schwester kümmern, das heißt um meine Frau, Lina Pirat. Auf dem Balkon einer zu bombardierenden Bühne kann man nämlich leichter umkommen als in einem Souffleurkasten, wo ich mich zu jenem Zeitpunkt aufhielt. Freilich war auch der Romeo nicht mit dem ursprünglich vorgesehenen Schauspieler besetzt, für ihn war unser Kantinenwirt Romeo Bogdanović eingesprungen. Oben auf dem Balkon, hinter dem Vorhang stand meine Frau, unten Romeo Bogdanović.
Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt, deklamierte unser Kantinenwirt.
Dann fuhr er leise und verzückt fort.
Doch still, was schimmert durch das Fenster dort?
Es ist der Ost, und Julia die Sonne!
Weh mir, schrie daraufhin Lina Pirat, meine Frau, um einiges früher als vorgesehen, denn die erste Bombe hatte in unser Theater eingeschlagen. Rauch, Staub und Asche. Schmerzensschreie. Vom Balkon war nur ein aufragender Stumpf geblieben. Das erzählte ich meinem Schwager, der mich ansah, als hätte ich die Bomben abgeworfen. Von Kunst hatte er noch nie etwas verstanden. Er wollte nicht einsehen, daß ich in dieser Vorstellung nur ein schäbiger kleiner Souffleur gewesen war.
Bogdan Pirat hob gerade seine Pistole und hätte auch schon geschossen, als plötzlich ein realer Bombenangriff begann. In unserem Film wurde gerade ein gewöhnlicher Tag im Leben der Leute Milenka Caricas gedreht, die Männer machten Musik und tranken, die Frauen tanzten, sangen hingebungsvoll, und wahrscheinlich war das der Grund für das Mißverständnis, dachte ich. Etwas schroff ausgedrückt könnte ich auch sagen, daß die Flieger die Dreharbeiten mit der Wirklichkeit verwechselt hatten. Die Bomben fielen, unter irrwitzigem Krachen zerstörten sie die Kulissen, die Wohnwagen und die Paravents, die Schauspieler und Statisten flohen in Panik, und auch Bogdan Pirat rannte brüllend, dem Himmel fluchend, davon, nachdem er sein ganzes Magazin auf einen Bomber abgefeuert hatte. Ich war außerstande, mich zu bewegen. Und in diesem Chaos, in diesem unwirklich wirklichen und dennoch filmischen Spektakel erblickte ich plötzlich Elena Schnee. Sie war zerzaust, blinzelnd beobachtete sie den Himmel, neben ihr gähnte ein Bombentrichter. Wie mir schien, hielt sie ein Exemplar des Drehbuchs in den Händen und blätterte aufgeregt darin.
Haben Sie wieder einen Skandal verursacht, Elena?
Das stand nicht im Drehbuch, schüttelte sie den Kopf.
Haben Sie die Bomber denn nicht bestellt, Elena?
Sie umarmte mich, drückte mich an sich. Sie schlotterte vor Angst.
Ein Bombenangriff kann doch nicht so tragisch sein, versuchte ich sie zu beruhigen, während ich spürte, daß ich mich nach ihr sehnte. Elena Schnee, aus Amerika. Na klar. Ihr Mund, ihre Augen, ihre strahlende Stirn. Ich wollte sie. Sie macht Filme und ist eine Frau. Ich werde sie küssen, dachte ich. Bevor sie mir ihre Lippen bot, warf sie einen verärgerten Blick zum Himmel.
Seien Sie mir nicht böse, lieber Schreiber, flüsterte sie.
Ich bin Ihnen nicht böse, Elena.
So ist der Krieg, sagte sie.
So ist er, sagte ich.
Ich sage es nur, lieber Schreiber, weil ich mir vor lauter Angst in die Hosen gemacht habe, sprach sie, dann küßte sie mich, lange und leidenschaftlich, während oben die Flugzeuge schon auf dem
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