Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten
Heimweg waren.
Anna-Mária Mohács
Ich kann mir kaum etwas Sinnloseres vorstellen, als seine Zeit mit seichten, zum Heulen schlechten Witzen zu vergeuden. Natürlich muß ich vor der eigenen Haustür kehren, denn ich bin ja selbst eine Art Geschichtskomiker, ein osteuropäischer Meister des Witzes, Hofnarr, Bluthumorist. Ich habe zum Beispiel Witze nach Priština geschrieben, Szenen nach Patras, feine Bonmots sogar nach Sarajevo, bis ich eines Tages plötzlich steckenblieb, in eine Krise geriet, ich weiß nicht. Obwohl ich die Welt auch da noch zum Lachen fand. Daran lag es nicht. Auch an den Prinzipien lag es nicht, keineswegs. Mir fiel nur kein einziger Witz mehr ein, nicht mal mehr ein Wortwitz, über den man hätte lächeln können. Nach Wochen der Qual rettete mir Dimitris Kontandis die Laune, mein alter Freund, der mich einmal im Jahr um einiger gelungener Pointen willen besuchen kam. Ich habe die Griechen schon immer gemocht, offene, gute Leute, und was für treffende Witze sie seit Jahrhunderten mit den Türken machen! Es kann auch kein Zufall sein, daß mir ausgerechnet mein teurer griechischer Freund dazu verhalf, von Anna-Mária Mohács lesen zu können.
Anna-Mária Mohács, gütiger Gott. Ich fange schon an zu kichern und zu beben, wenn ich nur den Namen höre.
In diesen Jahren wurden in Ungarn keine öffentlichen Hinrichtungen mehr durchgeführt. Ein seltsames Täuschungsmanöver. Noch der letzte versoffene Totengräber im Land, jede in ihrer Seele verdorbene Hebamme, jeder Hilfsschauspieler in erfolglosen Kindertheaterstücken wußte, daß selbst wenn es die Institution des Henkers nicht mehr gab, wenn der Staat die Strafe der Lebensberaubung nicht mehr verhängte, wenn dem letzten ungarischen Henker die Eckzähne ausgebrochen waren und er lebenslänglich zur Kur an die Adria geschickt worden war, nun, daß trotz allem die Hinrichtungen weitergingen, da jetzt Freiwillige und Amateure dieses Metier in düsteren Klassenzimmern, öffentlichen Amtsstuben und in Kreißsälen betrieben.
Ach was, nicht auf das Verbrechen kam es an. Nicht einmal die allgemeine, unser Alltagsleben vergiftende Melancholie hatte sich als entscheidendes Moment erwiesen. Die Hinrichtungen hatten mit dem großartigen Gefühl der Liebe zu tun, und wenn bei den Deutschen Werther-Klubs und Kleist-Vereine in Mode gekommen waren, so organisierten die Franzosen Camus-Reisen in die Normandie, nach Gibraltar und nach Brüssel. Es war mein Freund aus Brandenburg, der mir etwa zur gleichen Zeit von einer witzigen Berliner Werbung berichtete. Auf die frisch verputzte Mauer eines kürzlich errichteten Bürogebäudes hatten sorgfältige Hände einen genial-einfachen Satz plaziert:
»Das weltberühmte deutsche Gas!«
Aber nicht einmal das konnte mich wirklich erheitern. Verloren strich ich durch die Stadt, zuweilen dachte ich an Milenka Carica oder schaute mir in einem nahen Park Hinrichtungen an, egal. Nirgends eine nette Pointe, ein Ereignis, das mich hätte zum Lachen bringen können.
Als Dimitris Kontandis seine dickbäuchigen Koffer aus Schweinsleder vor mir abstellte, putzte ich gerade das Treppenhaus. Das war auch so eine neue Entwicklung. War es abends, als wir das Licht ausmachten, sogar auf den Treppenabsätzen oder vor dem Liftschacht sauber gewesen, so türmten sich morgens, wenn wir aufwachten, überall die Müllhaufen. Als wäre diese Unmenge Dreck unseren Träumen entströmt. Ich ließ den Putzlappen auf den Steinboden sinken. Dimitris starrte mich an wie Prinz Hamlet seinen Vater.
Efendi, Efendi, flüsterte er, warum so finster?!
Dimitris Kontandis war zu Recht konsterniert. So viel morgendliche Spucke und schimmligen Nebel zu durchqueren, für nichts. Außerdem war Dimitris ein Anhänger der Männerliebe, und manchmal versuchte er es auch bei mir. Küß mich, Efendi, sagte er leise. Kurz und nur einmal, sagte ich dann vorwurfsvoll. Später, schon in der Wohnung, während Dimitris Kontandis einen Drink zubereitete, blätterte ich in seinen Zeitschriften, die er sich für die lange Reise besorgt hatte. Budapest und Saloniki riefen einander aus wachsender Entfernung zu. Erleichtert sah ich, daß auch die griechischen, montenegrinischen und Belgrader Boulevardblätter darüber berichteten, daß es gelungen sei, den Weg der Blutspur, die ins Land zu dringen versuchte, indem sie sich dreigeteilt hatte, zur Einsicht zu bewegen. Die Blutspur stammte von einer wunderschönen, aber verkrüppelten Frau namens Milenka Carica, die
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