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Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten

Titel: Eine Frau besorgen - Kriegsgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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der Name Pater Lam in Wahrheit am nächsten stehe. Ich könne auch sehen, deutete er mit freundlicher Geste auf seinen leeren Schreibtisch, daß er sich keine Aufzeichnungen und Notizen mache, da sein Gedächtnis alles speichere, was er für wichtig halte.
    Fast alles, wiederholte er leise.
    Ich habe gute Historienwitze, sagte ich höflich.
    Pater Lam lächelte jetzt, als würde er gleich niederkommen. Er prüfte die Karteikarte mit meinen Blutdaten. Nachdem er im hoffnungslosen Durcheinander meines Stammbaums die hier miteinander wetteifernden, dort wieder ineinander verschlungenen ungarischen, rumänischen, sächsischen und serbischen Blutlinien ausgemacht hatte, kratzte er sich mit einem tiefen Seufzer geradezu enttäuscht am Kopf.
    Jüdische sind nicht dabei, fragte ich vorsichtig.
    Pater Lam sah noch einmal auf den Bildschirm.
    Leider nicht, lächelte er wieder.
    Wirklich schade, ärgerte ich mich.
    Ich dachte, ein entfernter jüdischer Vorfahre wäre nicht schlecht gewesen. Komisch, aber ein entfernter jüdischer Vorfahre könnte wirklich nicht schaden. Im Gegenteil. Dann mußte ich lachen. Wie bedauernswert der Mensch doch ist! Noch im letzten Moment macht er Witze. Schließlich würde ich schon bald Anna-Mária Mohács’ Mitarbeiter sein, und was würde es dann nützen, wenn vor hundertzwanzig Jahren der Bandkrämer Lewy Davidov aus Lemberg, ein Jude, meiner rumänischen Urgroßmutter den Kopf verdreht und ihr ein lebendiges Häuflein unters Herz geschaufelt hätte. Wenn es keinen jüdischen Urgroßvater gibt, dann eben nicht. Aber unter meinen Ahnen finden sich Bogumilen und eine Vila, ungarische Steuereintreiber mit trockenen Ärschen, kleine serbische Mädchen mit Rotz am Kinn, die den Sonnenuntergang zwischen ihre Schenkel gelassen haben.
    Pater Lam blickte auf, räusperte sich, schob sich die Brille auf die Stirn und beugte sich weit über den Tisch. Sein Flüstern war düster und giftig. Gespannt hörte ich ihm zu.
    Er werde ganz aufrichtig sein, sagte er. Frau Mohács habe neuerdings zahllose Klienten. Serben, Ungarn, Kroaten, Bosnier, Zigeuner, Juden und auf Besonderheiten erpichte Westeuropäer buhlten um ihre Gunst. In dem großen Gedränge unterliefen zuweilen Fehler, Irrtümer oder Mißverständnisse. Das Gerede sei aber niederträchtig und feige. Da sei es besser, wenn er, Pater Lam, mir einige Probleme näher beleuchte. Für einen Griechen aus Zypern – er beugte sich weiter über den Tisch – habe die Musikbox vor seinem Tode versehentlich die türkische Hymne angestimmt. Das sei eine peinliche Sache gewesen, entsetzlich peinlich. Ich könne mir die Enttäuschung des Betreffenden vorstellen. Ein bosnischer Geschäftsmann aus Sarajevo habe sich aus reiner Ironie kreuzigen lassen wollen, und dieser Akt sei zu den Klängen der Hymne von Israel vollzogen worden, was – aus einer anderen Perspektive betrachtet – ebenfalls eine Ironie des Schicksals war, und doch sei es wohl besser, wenn er, Pater Lam, die Worte, mit denen dieser Bosnier aus dem Leben schied, nicht zitiere. Leider müsse man immer damit rechnen, daß sich ein winziger Fehler einschleiche. In der Tat gebe es keine vollkommene Hinrichtung – so habe er einen französischen Klienten, der täglich zu ihm komme, doch er, Pater Lam, vergesse ständig, ihm einen Termin zu geben, ja, selbst wenn ihm dies jetzt eingefallen sei, könne er mir versichern, daß er sich schon Augenblicke später nicht mehr an diesen Pechvogel, den Franzosen, erinnere.
    Ich bemerkte, daß dieser Franzose nicht mehr kommen werde.
    Pater Lam fing an zu lachen, das sei ein guter Witz, ein sehr guter.
    Von wem ich denn spreche, fragte er und wischte sich die Augen.
    Ich habe begriffen, sagte ich, daß der Ulk in gewissem Sinne der Grundstoff der Geschichte ist. Oft habe auch ich das Gefühl, daß der Lauf der Geschichte, wenn man so will, am ehesten an die Methoden kosmischen Witzeerzählens erinnert. Die Erde im Universum, ein kleiner Witz. Oder etwa nicht?
    Also ist auch die Schöpfung ein spaßhafter Vorgang, guter Mann?
    Zumindest hat sie Anlaß zum Lachen gegeben, lächelte ich.
    Der Mensch verdirbt, weil er weiser sein will als der Tod. Pater Lam hielt sich den Bauch vor Lachen.
    Oder witziger, erwiderte ich.
    Als ich in der Zeitung den in gelb-blauen Flammen leuchtenden Namen von Anna-Mária Mohács sah, wußte ich, daß sie mir zusteht und ich sie mir besorgen werde, nickte ich. Frau Mohács muß für ihre Hinrichtungen einen professionellen

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