Eine Frau - Ein Bus
genießen.
Leider war ich zu einem Entschluss gelangt: Wenn Wrangell-Jim mehrere Tage allein im Regen auf einem Baum am Fluss zubringen und Elche jagen konnte, war es das Mindeste für mich, eine Wanderung zu unternehmen, besonders als ich den schwärmerischen Bericht über die Ausblicke und die tollen Fotogelegenheiten in unserem Reiseführer las. Tim war begeistert … bis wir aufbrachen. Denn auf dem Harbor Mountain in Sitka stellte ich
fest, dass ich den Alaska Death March, also den Todespfad, würde bewältigen müssen. Obwohl ich zugeben muss, dass der Ausblick spektakulär war (Meer, Inseln, Berge in der Ferne und und und), brachte mich die Tatsache, dass es beim steilen Aufstieg keine Rolltreppe gab, beinahe an den Rand des Wahnsinns. Und wieso sollte ich allein leiden?
Also entwickelte ich die »Fünf Stadien des Kummers beim Wandern mit Doreen«: Leugnen (»Wir klettern doch nicht da rauf, oder?«); Wut (»Ich kann nicht fassen, dass ich mir diese dämliche Wanderung von dir habe aufschwatzen lassen!«); einen Deal abschließen (»Wenn wir jetzt abbrechen, habe ich noch genug Energie, morgen noch eine Wanderung zu machen. Ganz ehrlich, ich versprech’s.«); Verzweiflung (»Oh, wieso habe ich nur zugelassen, dass du mich zu mehr als drei Meilen überredest?«) und Akzeptanz (»Also gut. Aber das ist definitiv, hundertprozentig, die letzte Wanderung, die ich je in meinem Leben machen werde.«) Bei der Erinnerung an den enttäuschenden Marsch über den Perseverance Lake Trail in Ketchikan fühlte ich mich versucht, auch noch Stufe sechs hinzuzufügen - ein Stadium, das nur unter extremsten Bedingungen vorkommt; in einem fatalen Zusammentreffen aus Gewinn an Höhenmetern, akkumuliert durch Kilometer, Käfern und Schlamm: Konfabulation (»Sieh doch! Du bringst ja den Hund um!«) Endlich, als ich Tim lange genug in den Ohren gelegen hatte, um auch ihn zum Aufgeben zu bewegen, schnappte ich mir den Pudel für ein Freudentänzchen und strahlte, während ich versuchte, den weisen Entschluss meines Mannes, kapituliert zu haben, noch zu bekräftigen.
»Ich bin so froh, dass du mich nicht gezwungen hast, bis ganz nach oben zu gehen. So kann ich die Wanderung
noch genießen und mich daran freuen, wie schön sie war. Ich würde den Weg sogar noch einmal gehen.«
»Ehrlich?«, konterte Tim. »Ich nicht.« Ich muss zugeben, dass ich es wieder tun würde . Ich schätze, etwas so Dämliches zu tun, hat den Effekt, die Erinnerungen an die Mühsal, die man durchlebt hat, verblassen zu lassen (bei der Geburt eines Kindes verhält es sich ähnlich, habe ich mir sagen lassen), insbesondere beim Anblick der tollen Fotos, die ich unterwegs geschossen hatte. Hätte ich bei allen Wanderungen die Garantie, dass die Landschaft atemberaubend ist, würde ich mir wahrscheinlich eine Kundenkarte bei einem Trekking-Ausstatter zulegen. Gott helfe dieser Menschengattung.
Haben Sie sich je überlegt, was Sie tun würden, wenn Sie einen verletzten Adler fänden? In eine Decke einwickeln (wenn er nichts sieht, wird er sofort ruhiger) und ihn zu Alaska Airlines schaffen, damit er seinen Gratisflug (wenn auch ohne Lachshäppchen) ins Alaska Raptor Center antreten kann. Dort wird er wieder aufgepäppelt oder bleibt als Dauergast dort, wenn die Verletzungen zu schwer sind. Das Raubvogel-Center wurde 1980 von zwei Leuten in einem Hinterhof in Sitka gegründet, die einen verletzten Adler fanden, und hat sich mittlerweile zu einer ehrenamtlichen Rettungsstation auf einer Fläche von knapp sieben Hektar gemausert. In einem speziell konstruierten Sichtkorridor, der den Vögeln Diskretion gewährt, können die Besucher den Vögeln dabei zusehen, wie sie ihr Flugtraining absolvieren, ehe sie wieder in die freie Wildbahn entlassen werden. Sie fliegen von Baum zu Baum, stürzen auf Wasserfälle und Flüsse herab, um sich ein Lachshäppchen zu schnappen - im Sushi-Stil, versteht sich. Es gibt sogar spezielle Areale zur Flugkonditionierung, darunter einen
Spezialflugkäfig, in dem die Aufstiegsfähigkeit geprüft wird, sowie eine Flugröhre zur Prüfung der Ausdauer und der Manövrierfähigkeit. Bis zu unserem Besuch im Raptor Center hatten wir jede Menge Adler aus der Ferne beobachtet, doch erst aus unmittelbarer Nähe bekamen wir eine konkrete Vorstellung von ihrer gewaltigen Spannweite. Und diese Augen. Diese stechenden, faszinierenden Augen, die sich förmlich bis in die Seele bohren und einen grübeln lassen, wer hier wem menschenähnliche Züge
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