Eine Frau - Ein Bus
während der Wintermonate zu beherbergen. Der einzige Eingang bestand aus einer so niedrigen Tür, dass einiges an Anstrengung erforderlich war, um ins Haus zu gelangen. Auf diese Weise wurde nicht nur die Wärme konserviert, sondern es erleichterte es den Bewohnern, eindringende Feinde zu töten. Als gebürtige New Yorkerin fand ich diese Idee ausgesprochen schlau.
Ehe wir Ketchikan verließen, unternahmen wir einen Ausflug mit dem Wasserflugzeug zum Misty Fjords National Monument, das nur per Flugzeug oder Boot erreichbar ist (außerdem gingen wir davon aus, dass wir Schiffsaufenthalte ohnehin bald leid wären). Der Flug mit der sechssitzigen De Havilland Beaver dauerte zwei Stunden, inklusive fünfundvierzigminütigem Abstecher ans Ufer eines Fjords. In dem fast tausend Quadratkilometer großen Naturschutzgebiet gab es weder Autos noch Straßen, deshalb war weit und breit niemand zu sehen, dafür machte uns der Pilot freundlicherweise auf ein paar Bärenspuren genau an der Stelle aufmerksam, wo wir gerade standen.
Auf der Fähre von Ketchikan nach Wrangell fiel mein Blick auf ein Buch auf einem der Liegestühle an Deck. Seine Blätter flatterten im Wind, so dass ich den Namen »DOREEN« auf der inneren Umschlagseite erkennen konnte. Kurz darauf erschien eine hispanische Frau, und ich fragte sie, ob sie tatsächlich so heiße. Wir stellten fest, dass wir noch etwas anderes gemeinsam hatten: Auch sie kam aus Colorado, doch hier endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Etwa zehn Jahre zuvor war ihr Sohn, der damals gerade in die erste Klasse ging, in Verdacht geraten, ein Messer in seiner Socke versteckt zu haben. Er erzählte ihr, er brauche
es zu seinem Schutz. Also beschloss seine allein erziehende Mutter auf der Stelle, dass sie umziehen mussten, um ihren Sohn davor zu bewahren, Mitglied in einer Gang zu werden. Am Ende fiel ihre Wahl auf Wrangell (mit einer Einwohnerzahl von zweitausend), wo niemand sie kannte. Doch das sollte sich bald ändern, denn ihr Sohn entwickelte sich nicht nur prächtig in der Kleinstadt, sondern sie heiratete den Urururenkel eines Tlingit-Häuptlings. Doreen gab mir ihre Nummer und meinte, ich solle sie anrufen, wenn ich irgendwelche Fragen hätte, oder sie besuchen, damit sie uns ein wenig Lachs mitgeben konnte (ihr Sohn, mittlerweile im Teenageralter, verdiente rund viertausend Dollar die Woche auf einem Fischerboot). Es stellte sich heraus, dass diese Offenheit und Gastfreundschaft typisch für die Menschen in diesem Bundesstaat ist. Doch da ich bezweifelte, dass ihr Angebot auch das Filetieren des Fisches beinhaltete, nahmen wir es lieber nicht an.
Unsere Reise hatte uns nicht nach Wrangell geführt, weil es dort so viel zu erleben gab. Und ich rede noch nicht einmal von der Tatsache, dass es dort nur eine Handvoll Restaurants und Bars gibt - oh nein, in Wrangell schließt der Lebensmittelladen um sechs Uhr abends, und an den Sonntagen bleibt er auch geschlossen - stattdessen fuhren wir hin, weil es einfach nur friedlich und wunderschön ist.
Wir entschieden uns für den Alaska Waters RV Park, wo ich Tim mit unseren gewohnten improvisierten Instruktionen rückwärts auf unseren Stellplatz einwies. Es war ein System, das mittlerweile gut zwischen uns beiden funktionierte, doch normalerweise kam unweigerlich ein Mann daher, um der kleinen Lady mit den schlegelnden Armen, die es wahrscheinlich nicht schaffen würde, ein wenig zu »helfen«. (Ich war mir sicher, dass ich es nicht schaffte,
und Tim als Einziger, dessen Meinung zählte, kümmerte es nicht.) Diesmal kam der Manager des Campingplatzes herüber, trat jedoch eilig beiseite, da er sah, dass ich mein Handwerk durchaus beherrschte. »Das war eine sehr gute Einweisung«, lobte er, nachdem der Bus an der richtigen Stelle stand. Wir freundeten uns auf der Stelle mit ihm und seiner Frau an.
Jim und Joanne Silverthorn hatten ein ziemlich schillerndes Leben geführt. Die beiden waren ehemalige Restaurantbesitzer und Erfinder eines supergeheimen Pizza-Rezepts, für das Leute eine stundenlange Fahrt ins winzige Creede, Colorado, auf sich genommen hatten, nur um in den Genuss der Köstlichkeit zu kommen. Inzwischen waren sie im Ruhestand und führten mit ihren beiden Cockerspaniels ein Dauercamper-Leben. Ihre ganz besondere Liebe galt Wrangell, deshalb fuhren sie jeden Sommer hin, um den Campingplatz für die Besitzer zu betreiben. Eines Abends luden sie uns zu sich in den Bus ein, wo es frisch gefangenen Lachs geben sollte. Wir
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