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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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brachten den Salat und den Wein mit und unterhielten uns am Ende bis in die frühen Morgenstunden. Ehe wir gingen, blies Joanne uns einen Kuss zu und schenkte mir einen hübschen Schieferstein, den sie bemalt hatte, als Erinnerung an Wrangell. Und er erinnert mich heute noch jeden Tag sowohl an das kleine Städtchen als auch an die Silverthorns, wenn ich ihn auf meinem Schreibtisch stehen sehe.
    Die Besitzer von Alaska Waters Inc. sind die gebürtigen Washingtoner Jim Leslie und seine Frau Wilma, in deren Adern Tlingit- und Haida-Blut fließt. (Sie stammt sogar von einem Haida-Häuptling ab, wie Jim uns voller Stolz erzählte.) Jim war nicht nur eine wunderbare Quelle für alles, was mit Alaska und seiner Kultur zusammenhing, sondern
auch ein wahrer Naturbursche und eine Art Candide des Nordens. Als er mit uns in seinem Jetboot über den Stikine River zischte, zeigte er uns die zahlreichen Stellen, an denen er beinahe von Gletschergesteinsbrocken erschlagen und von großen, zornigen Säugetieren zerfleischt worden wäre. Noch gruseliger waren die Geschichten aus seiner Zeit in einem Holzfällerlager. Damals hatte man vermutet, die drei der zehn meistgesuchten Verbrecher der FBI-Fahndungsliste hielten sich in der Gegend auf - und bei den Burschen handelte es sich nicht um die Angestellten, die einander am Ende gegenseitig umbrachten.
    Während in Jims Leben nur wenig Platz für jene Dinge war, die die Hauptsäulen meines eigenen als Psychiaterin bildeten - Selbstbeobachten und Nachdenken -, ist er derjenige, der völlig sorgenfrei und zufrieden mit seiner Existenz zu sein scheint. Ich kann mich nur fragen, ob die Tatsache, dass jemand so viel Zeit in der freien Natur und der Weite der Wildnis Alaskas verbringt (statt in den beengten Räumlichkeiten seines eigenen Bewusstseins herumzubuddeln), unweigerlich dazu führt, dass jeder Schwachpunkt an der eigenen Person oder der Situation an sich zur Bedeutungslosigkeit verblasst. Obwohl sein Leben um so vieles komplizierter zu sein scheint als meines (angefangen damit, dass er sich jeden Tag anzieht und das Haus verlässt, ganz zu schweigen davon, dass er sich sein Essen erjagt und angelt und dabei unablässig dem Tod ins Auge blickt), ist Einfachheit vielleicht gar nicht so übel.
    An unserer sechsstündigen Bootsfahrt über den Stikine River nahmen auch zwei Männer aus Louisiana teil, die ebenfalls Gäste auf Jims Campingplatz waren, deren Frauen jedoch zu große Angst hatten, in das kleine Boot zu steigen. Mit an Bord war auch ein älteres Ehepaar, Ivan
und Gina Simonek, die Freunde von Jim waren. Die beiden stammten aus Prag. Nachdem 1968 die Russen einmarschiert waren, hatten sie ihre amerikanischen Brieffreunde gebeten, ihnen bei der Ausreise zu helfen. Einer aus Wrangell schickte ihnen Flugtickets.
    Anfangs arbeitete Ivan in einem Sägewerk, ehe er seiner wahren Berufung als hervorragender Fotograf nachgehen konnte. Sowohl Psychiater-Tim als auch Allround-Freak waren völlig fasziniert von Ivans Geschichten über seine Arbeit im Sägewerk, wo es ihm einfach nicht gelingen wollte, die Sägeblätter richtig auszurichten. Seine ständigen Fehler machten ihn so wütend, dass er sogar fürchtete, er bringe noch jemanden um. Zum Glück schloss das Sägewerk für ein Jahr, was Ivan Gelegenheit gab, zu verarbeiten, was schiefgelaufen war. Bei seiner Rückkehr kam er darauf, dass die Säge auf ihn »hörte« und ihm gestattete, alles mit ihr zu tun, was er wollte. Scheinbar hatte er eine wichtige Lektion aus dieser Erfahrung gelernt, da auch ein begabter Naturkundler aus ihm geworden ist.
    »Ich erfahre gern mehr über die Dinge, die ich fotografiere«, meinte er.
    Jim zeigte uns einen Adlerhorst und erklärte uns, die Monogamie sei zwar immer noch die bevorzugte Lebensform, doch hätten jüngste DNA-Untersuchungen in den Gebieten um den Fluss herum ergeben, dass die Burschen sich auch gerne ein wenig herumtrieben.
    »Hey, Schatz«, scherzte Jim, »ich bin bald wieder hier … ich gehe nur ein bisschen Polstermaterial für das Nest holen.«
    Am Ende des Ausflugs legte Jim ein »Hamilton-Manöver« mit dem Boot hin. Ich möchte hier nicht näher darauf eingehen (okay, ich könnte es nicht, selbst wenn ich es
wollte), nur so viel sei gesagt: Es war eine Wende auf engstem Radius mit noch mehr G-Kräften als bei einer Fahrt mit dem E-Ticket in Disneyland. Er hatte uns angewiesen, unsere Sicherheitsgurte festzuzurren und uns festzuhalten, oder, wenn wir es noch eine Spur wilder

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