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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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zumisst. Das hier war ein anderes Kaliber als Omas Kanarienvogel.
    Für die Fahrt von der einstigen Hauptstadt Alaskas, Sitka, in die derzeitige, Juneau, nahmen wir einen Hochgeschwindigkeitskatamaran, mit dem sich die Reise in nicht einmal fünf Stunden bewältigen ließ. Bei keiner anderen Gelegenheit hatten wir die Chance, so viel Meeresgetier zu sehen: Buckelwale, Orcas, Seelöwen, ganz zu schweigen von den stets präsenten Adlern.
    Auf sämtlichen Fähren gibt es einen Naturkundler oder Park Ranger, der mit sachkundigen Informationen zur Verfügung steht. Bei dieser Überfahrt erwähnte unsere Führerin, die Buckelwale seien so groß wie Busse. Tim und ich konnten nicht anders, als sie anzustrahlen, bis sie den Moment ruinierte, indem sie fälschlicherweise behauptete, dies bedeute, Buckelwale besäßen eine Länge von über fünfzehn Metern. Die Frau mag sich in der Natur auskennen, von Bussen hat sie jedenfalls keine Ahnung. Ich wollte, dass Allround-Freak sie korrigierte, doch ausnahmsweise weigerte er sich. Die Naturexpertin wies uns auf eine Insel vor Sitka hin, auf der eine seltene Flamingoart heimisch war, und zwar nur auf diesem winzigen Fleckchen auf dem Planeten. Als wir um die Biegung
kamen, sahen wir sie - etwa ein Dutzend, neben ein paar Bäumen. Sie kamen mir ein wenig still vor. Vielleicht schlafen sie ja . Später, als sie uns auf weitere Wildtiere hinwies, die wir gleich zu sehen bekämen, fiel der Groschen. »Diesmal werde ich Sie auch nicht mit Plastikflamingos hinters Licht führen«, sagte sie. Erst in diesem Moment dämmerte mir, dass ich Opfer des berühmten Sitka-Humors geworden war.
    Obwohl wir inzwischen eine Menge Gletscher gesehen hatten (wobei hier dasselbe gilt wie bei den Adlern: Wir konnten uns kaum an ihnen satt sehen), war der Mendenhall mit seiner Eiszunge, die drohend und einladend zugleich fast bis nach Juneau zu reichen scheint, absolut einzigartig. Als ich so dicht vor diesem gewaltigen, uralten Naturphänomen stand (der Mendenhall-Gletscher ist über dreizehn Meilen lang, an manchen Stellen anderthalb Meter breit und 600 Meter hoch), drängte sich mir unwillkürlich der Gedanke auf, wie klein und bedeutungslos unsere Existenz im großen Gesamtbild des Lebens ist. Und wieder einmal wusste ich die Zeit zu schätzen, die wir uns für die Bus-Geschichte von der winzigen Spanne abgeknapst haben, die uns im Universum vergönnt ist. Doch selbst die scheinbar Tapferen und Unbesiegbaren haben ihre verletzlichen Momente: Im Besucherzentrum des Gletschers hängen eindrucksvolle Fotos aus früheren Zeiten, die zeigen, wie weit sich der Mendenhall - etwa zwei Meilen - in den vergangenen Jahrzehnten zurückgezogen hat. Und um das Ganze noch plastischer zu machen, kamen wir bei unseren verschiedenen Wanderungen immer wieder an Markierungen vorbei, auf denen abzulesen war, in welchem Jahr sich der Gletscher an diesem bestimmten Punkt befunden hatte.

    Im Parlamentsgebäude in der Innenstadt (im Gegensatz zu den meisten anderen ist es sehr schlicht gehalten und besitzt auch keine Kuppel, da es ursprünglich als Bezirksverwaltung gebaut worden war) erfuhren wir von einer bemerkenswerten Frau, die in den Vierzigern für die Bürgerrechte der Bewohner Alaskas eingetreten war. Zu dieser Zeit hingen in Restaurants, Bars, Hotels, Kinos und Geschäften Schilder mit der Aufschrift »Zutritt für Ureinwohner verboten« oder manchmal sogar »Zutritt für Ureinwohner und Hunde verboten«, und Kinder der Ureinwohner durften keine öffentlichen Schulen besuchen. Doch die Tlingit Elizabeth Wanamaker Peratrovich machte sich für die Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes stark.
    1945 kam der Vorschlag zum zweiten Mal vor den Territorialrat, nachdem beim ersten Mal nicht genügend Stimmen dafür gesammelt werden konnten. Und auch diesmal schien dem Gesetz dasselbe Schicksal zu drohen. »Wer sind diese Leute, die gestern noch Wilde waren, dass sie sich mit uns Weißen verbünden wollen, mit fünftausend Jahren nachgewiesener Zivilisation im Rücken?«, fragte einer der Senatoren. Peratrovich, die nicht einmal Redeerlaubnis besaß, stand auf und antwortete ruhig: »Ich hätte nicht erwartet, dass ich, nachdem ich gestern noch eine Wilde war, die Gentlemen mit fünftausend Jahren nachgewiesener Zivilisation an die Menschenrechtserklärung erinnern muss.« Daraufhin hob sie zu einer eloquenten Darlegung der Wirkung der Diskriminierung gegenüber Menschen aus ihrem Umfeld an. Ihre spontane Rede

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