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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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vorüber war.
    Als wir Haines verließen, mussten wir erneut Kanada durchqueren, um zum Alaska Highway ins Landesinnere zu gelangen. Da ich für die Reiseplanung zuständig war, verspürte Tim nie das Bedürfnis, sich über den weiteren Weg auf dem Laufenden zu halten. Doch wenn wir die Grenze passierten, würde es ein klein wenig verdächtig wirken, wenn der Zollbeamte den Fahrer fragte, woher wir kämen und wohin wir wollten, und dieser zu mir herumfahren und mir panische Blicke zuwerfen würde. Also sorgte ich dafür, dass Tim ein paar Städtenamen auswendig lernte. Doch es stellte sich heraus, dass wir ganz anderen Ärger bekommen sollten.
    Trotz meines Outfits (vielleicht erregte ja der modisch nicht ganz einwandfreie Kontrast aus türkisfarbenen Rutschsocken und meinem bewährten rosa Jogginganzog Verdacht) stieg bei der Einreise nach British Columbia ein weiblicher Mountie in unseren Bus. Statt mich wegen modischer Verfehlung zu belangen, wollte sie wissen, wie viel Alkohol wir an Bord hätten. Da die Beschränkung für Menschen, die in ihrem Gefährt leben, ein klein wenig lächerlich war (also gut, o.k., lächerlich für uns , die in ihrem Gefährt leben), spielten wir unsere Angabe ein winziges bisschen herunter. Als sie fragte, ob sie nachsehen dürfe, war uns klar, dass wir geliefert waren. Und tatsächlich
- beim Anblick unserer Spirituosenvorräte war sie ein klein wenig geschockt.
    »Da ist ja eine ganze Menge drin«, stellte sie fest. Ich schätze, das stimmt, denn sie brauchte eine volle Viertelstunde, um alles festzuhalten. (Meine Erklärung, dass ich all die Liköre für die Zubereitung diverser Martinis brauchte, von denen ich manche nur ein paar Mal pro Jahr mixte, und sie deshalb nicht zählten, machte keinen allzu großen Eindruck auf sie.) Trotzdem kamen wir mit einem blauen Auge davon. Am Ende konfiszierte sie nur zwei große, aber völlig unschuldige, noch verschlossene Flaschen Wodka (eine mit Vanille-, die andere mit Erdbeeraroma), die niemandem ein Leid zugefügt hatten. Ich behielt meine Überlegungen, was ein männlicher Mountie wohl mitgenommen hätte, für mich, ebenso wie mein Rezept für die Strawberry Shortcake Martinis. Selber schuld.
    Wieso hatten wir gelogen?, fragten wir uns. Na ja, das macht man eben an der Grenze. Uns war nicht klar, dass wir einfach hätten nachverzollen können. Stattdessen hatten wir gedacht, alles, was über die Beschränkungen hinausging, würde konfisziert werden, wenn wir es angaben. Tim schämte sich in Grund und Boden. Lügen ist nicht sein Ding, ebenso wenig wie jede andere Form unangemessenen Verhaltens. Ich war diejenige, die ihn zur Unwahrheit angestiftet hatte, und vorhersehbarerweise war ich eher wütend als etwas anderes. Hatten diese Typen nichts Besseres zu tun? Wir hatten doch schon in den USA Steuern dafür bezahlt. Ich zeterte immer weiter, dass wir nach British Columbia hätten einmarschieren sollen, nicht in den Irak, um dafür zu sorgen, dass unsere Grenzen zollfrei blieben. Tim hätte am liebsten kehrtgemacht und wäre nach Hause gefahren.

    Unser Gemütszustand blieb unverändert, als wir wieder unterwegs waren. Der Alaska Highway war in der Tat, sagen wir mal, ein wenig holprig, uneben, aufgerissen oder jede andere Bezeichnung, die sich für eine Straße finden lässt, die einem Bus-Phobiker den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Um dem Ganzen noch einen draufzusetzen, hatte ich in den Staaten eine Ausgabe von The Milepost gekauft, eine unverzichtbare Informationsquelle für jeden Reisenden nach America’s Last Frontier. The Milepost , dessen erste Ausgabe im Jahr 1949 auf den Markt kam, ist ein jährlich erscheinender Führer, der den Leser über jede befahrbare Straße in Alaska aufklärt und Informationen zu Campingplätzen und Tankstellen liefert, außerdem eine Liste mit sämtlichen Ausweichrouten (einschließlich der Angabe, ob sie asphaltiert oder gekiest und besonders breit oder schmal sind), Tipps für die Regionen, in denen man auf kreuzende Elche oder Karibus achten sollte (es gab sogar einen Hinweis, wo man Ausschau nach einem Fischadler-Nest auf einem Turm halten sollte), bis hin zu jeder Wurzel, jedem Graben und jedem Frostaufbruch auf der Straße. Auf diese Weise kam ich nicht nur in den Genuss, jede Straßenunebenheit bewusst wahrzunehmen, sondern mich auf den Zentimeter genau im Voraus darauf freuen zu dürfen.
    Das Ganze war überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Irgendwann kamen wir dem Abgrund gefährlich nahe

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