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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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(einen befestigten Straßenrand gab es hier nicht).
    »Was war das?«, schrie ich.
    »Eine echt heftige Bö«, antwortete Tim. Mehr brauchte ich nicht.
    »Eine echt heftige -« In diesem Moment holperten wir durch ein tiefes Schlagloch. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich gar nicht mehr so schlimm an.

    »Heftige Bö. Heftige Bö. Heftige Bö«, wiederholte ich unablässig während der nächsten dreihundert Meilen bis nach Tok, wobei die harten Konsonanten mein Entsetzen ein klein wenig minderten, ähnlich wie damals bei meinem anderen Selbstberuhigungsmantra »Ich sterbe - ich sterbe - ich sterbe«, das an der Küste Oregons Wirkung gezeigt hatte.
    Nach ein paar Tagen erreichten wir den Denali National Park. Die Stadt selbst war alles andere als berauschend, doch wir waren in erster Linie hingefahren, um den Mount McKinley zu sehen, den höchsten Berg Nordamerikas. Doch als wir nach Delali kamen, mussten wir feststellen, dass es recht schwierig war, von innerhalb des Parks (oder zumindest so weit wir uns hineingewagt hatten) einen Blick auf den 6.195 Meter hohen Berg zu erhaschen. Der Verkehr in Denali ist streng reglementiert, und Busse (leider nicht unserer) sind die einzigen Fortbewegungsmittel. (Also gut, Fahrräder sind ebenfalls gestattet, aber kennen wir uns inzwischen nicht gut genug, um zu wissen, dass das nicht zur Debatte stand?) Also begingen Tim und ich den Fehler, eine Besichtigungsfahrt in einem altersschwachen Schulbus der Parkverwaltung zu buchen.
    Das Problem war (nicht nur), dass ich nach einem knappen Jahr in unserem Luxus-Prevost ein wenig verwöhnt war. Als ich zusammen mit neunundvierzig anderen Menschen die schmalen, gewundenen Straßen erklomm, die regelmäßig von Säugetieren von beachtlicher Größe überquert wurden, lagen meine Nerven blank, aber das hatte nichts mit dem Bus zu tun. Vor der Abfahrt hatte man uns gesagt, jeder Fahrgast dürfe zu jedem Zeitpunkt der Fahrt »STOPP« rufen: wenn er ein Tier sah, wenn sich eine Gelegenheit zum Fotografieren bot, wenn es eine blutige
Nase gab (das passierte tatsächlich. Sie schickten das Kind aus dem Bus - wahrscheinlich, damit es ein Bär auffraß. Oder sind es Haie, die von so etwas angelockt werden?) Unser bemüht hilfsbereiter Fahrer/Führer stattete uns Hinterbänkler sogar mit Walkie-Talkies aus, damit wir ihm während dieser Höllenfahrt jederzeit unsere Wünsche mitteilen konnten. Leider war »Anhalten, ich nehme ein Taxi« keine Alternative.
    Das Leid nahm seinen Lauf, als das erste Tier gesichtet wurde, ein Karibu. Eine ältere Frau auf der anderen Seite des Ganges stieß einen Schrei aus, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich dachte, das arme Tier würde vielleicht von einem Bären gefressen. Da ich bislang nur einen alaskischen Bären gesehen hatte und wusste, dass ich dem armen Rudolph ohnehin nicht würde helfen können, spähte ich zu ihm hinüber. Aber nein, dieses Geweihmonster (jemand sollte dem armen Biest einmal sagen, dass diese accessoiremäßige Übertreibung völlig stillos ist), stand da und starrte in die Ferne, ohne etwas von dem Aufruhr mitzubekommen, den es in unserem beengten Gefährt verursachte. Es zuckte noch nicht einmal zusammen, als die Frau einen touristischen Urschrei von sich gab. »WALTER! HOL DIE KAMERA!« Es war einige Zeit her, dass Tim und ich an einer organisierten Tour teilgenommen hatten, und als wir einander nun panische Blicke zuwarfen, wussten wir auch wieder, warum.
    »Das wird ein sehr langer Ausflug«, sagten wir wie aus einem Munde. Was tut Walters Frau wohl, wenn sie seine Aufmerksamkeit auf etwas wirklich Wichtiges lenken will? Sagen wir, sie wird von einem Fremden gewürgt, was, wie ich Ihnen versichern kann, während dieses achtstündigen Martyriums um ein Haar mehrmals fast der Fall war. Als
Nächstes kamen die Dall-Schafe. Jemand rief »STOPP!«, und wir sahen uns … weiße Punkte auf einem Hügel an, bei denen es sich, wie man uns sagte, um blöde Schafe handelte. Unser Führer bezeichnete die Tiere natürlich nicht als »blöde« Schafe. Da er ein Naturkenner mit dem passenden Namen River (was sonst?) war, nannte er sie Dall-Schafe. Gab es irgendjemanden in diesem Bus, der noch nie auf einem Bauernhof gewesen war?
    »Das sind Bergschafe«, protestierte Tim, als ich mich das erste Mal zu dieser geistreichen Bemerkung hinreißen ließ. Nach dem sechsten Mal erblickte er das blöde Schaf zu seiner Freude selbst, enthielt diese Information jedoch unserer

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