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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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beratschlagen. Na gut, beratschlagen ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort dafür. Ich bettelte.
    »BITTE, Schatz, lass uns zu diesem College zurückfahren.« Und genau das taten wir auch. Um halb zwei Uhr früh fanden wir den Platz, an dem wir unsere erste Nacht im Bus verbringen sollten. Gott segne dich, West Wyoming Community College.
    Als wir die Matratze umdrehten und die vollgepinkelten Laken im Waschbecken auswuschen (wir wussten nicht, wie der Waschtrockner funktionierte), durchlebte ich beim Anblick der noch immer traumatisierten Shula den finstersten Augenblick dieses Tages. Sie wird dieses Ding niemals als ihr Zuhause akzeptieren. Vielleicht sollten wir sie bei Dorothy lassen. Und vielleicht nimmt sie mich für dieses Jahr auch bei sich auf.
    Unser Bus verfügte über drei Temperaturzonen: eine für den Wohnbereich, eine fürs Bad und eine für den Schlafbereich. Wir drehten im Schlafbereich voll auf und kletterten
in ein Bett ohne Laken. Einige Stunden später wachten wir schlotternd auf.
    »Etwas stimmt mit der Heizung nicht«, sagte Tim. »Ich friere.«
    »Ich auch«, stimmte ich mit klappernden Zähnen zu. Wir holten uns eine Zusatzdecke (die zum Glück nicht in der Vorratsluke unter dem Bus verstaut lag) und schafften es irgendwie, noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Erst irgendwann am nächsten Tag, nachdem ich die Klimaanlage in Zone eins hochdrehte (nicht dass es Tim etwas ausgemacht hätte, er schwitzte vorn hinter der Windschutzscheibe) und ins Schlafzimmer ging, um nach Shula zu sehen (die sich noch immer im Ganzkörper-Kauermodus befand), fiel mir auf, wie viel kühler es hier drin war. In diesem Augenblick dämmerte mir, dass Zone eins der Schlafbereich war, nicht Zone drei.
    Gewiss hatten die Karma-Götter beabsichtigt, uns das ganze Unglück gleich am ersten Tag an den Hals zu schicken.
    Ja, klar.
    Der nächste Morgen. Tim startete um halb neun Uhr früh, während ich noch schlief - zumindest etwa eine Sekunde lang. Ich hatte gedacht, Schlafen im Bus sei mit diesem vertrauten angenehmen Gefühl verbunden, das ich mit den zahlreichen Fahrten mit dem Greyhoundbus zum College und nach Hause verband. Doch flach ausgestreckt in einem Doppelbett im rückwärtigen Teil zu liegen, erwies sich als keineswegs gemütlich. Sämtliche Kurven, Schlaglöcher und sonstigen Unebenheiten fühlten sich doppelt so schlimm an, wie sie waren. Es war, als schlingerten wir auf der Straße umher, um in einem Meteoritenschauer Godzilla auszuweichen.

    Ich sprang aus dem Bett, behielt jedoch meinen Schlafanzug an (wenigstens ein Lichtblick auf der bisherigen Reise). Anfangs freute ich mich, aufgestanden zu sein, denn das Wetter war schön und der Ausblick auf die Berge von Utah vor uns spektakulär. Doch beim Anblick all der Warnschilder »Bremsbucht für LKW« und »Starkes Gefälle«, dieser gemeinen Zerstörer jedes Fünkchens Zuversicht, sehnte ich mich augenblicklich nach dem Schwanken des Bettes im hinteren Teil zurück. Ich versuchte mich zu beruhigen, redete mir ein, mich nicht lächerlich zu machen. Doch dann schien Tim mit einem Mal Probleme mit den Bremsen zu haben - sein hektisches Pumpen war ein sicheres Indiz dafür. Ich fragte, was los sei.
    »Nichts, Schätzchen«, beruhigte er mich mit zusammengebissenen Zähnen. Wann immer Tim mir noch nicht einmal sagen will, dass etwas nicht stimmt, weiß ich, dass es ganz, ganz übel aussieht.
    Möglicherweise hätte ich ihm in diesem Moment noch geglaubt, wäre da nicht der unmissverständliche Gestank nach verschmortem Gummi gewesen, gepaart mit der unmaßgeblichen Kleinigkeit, dass der Bus viel zu schnell um die Kurven fuhr.
    Ich drückte Morty an meine rüschenbesetzte Flanellbrust, während mir aufging, dass Shula von Anfang an den richtigen Instinkt besessen hatte. Während ich über unseren nahenden Flammentod nachgrübelte, fand Tim die Ursache des Problems heraus. Statt die Dekompressionsbremse voll aufzudrehen, hatte Tim sie abgeschaltet.
    Wie er später in sämtlichen schillernden Details darlegte, bremsen Dieselmotoren normalerweise nicht mittels Kompression (wenn man bei einem PKW den Fuß vom Gas nimmt, wird er automatisch langsamer. Bei einem Dieselmotor
bleibt die Geschwindigkeit unverändert). Unser Dieselmotorbus hingegen war mit so genannten Jake Brakes, also einer Dekompressionsbremse, ausgestattet (dem Himmel sei Dank für Jacobs Vehicle Systems), die die reguläre Bremse umgeht, um das Tempo zu drosseln und so eine Überhitzung

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