Eine Frau - Ein Bus
bei starken Gefällen zu verhindern. Um diese Jake Brakes zu bedienen, muss der Fahrer einen Schalter mit der linken Hand betätigen. Unglücklicherweise hatte Tim angenommen, »auf« stünde für die Aktivierung, wohingegen das genaue Gegenteil der Fall war.
»Schon besser, was?«, meinte er und lachte, als er seinen Fehler bemerkte. Könnte man sagen.
An diesem Abend kamen wir nach Reno und stellten den Bus vor Dorothys Haus ab. Wir wurden bereits bei Tims Bruder zum Abendessen erwartet. Leider zeigte sich die Bustür immer noch unkooperativ. Auf der Straße wollte sie nicht geschlossen bleiben, nun jedoch ließ sie sich nicht absperren.
Allround-Freak holte das Werkzeug aus der Vorratsluke und begann, die Tür zu zerlegen. Ich beschloss, in der Zwischenzeit die Eismaschine im Kühlschrank auszuprobieren. Ich brauchte einen Martini. Dringend. Während er das Schloss notdürftig zusammenschusterte, fiel mir auf, dass sogar schon ein paar Eiswürfel im Fach lagen. Leider empfahl die Betriebsanleitung, diese ersten Würfel wegzuwerfen. Irgendetwas von wegen chemische Rückstände, Schmutz, die Gefahr, dass einem ein drittes Auge wächst … Ich wollte es nicht wissen, und es kümmerte mich auch nicht. Ich brauchte meinen Cosmo, und zwar dringend.
Kurz darauf kehrten einige unserer Nichten und Neffen zurück, um Dorothy nach dem Essen nach Hause zu bringen,
das wir verpasst hatten. Sie kamen in den Bus und zeigten sich angemessen beeindruckt. Nach der Besichtigungstour nahm mich mein Neffe, ein hinreißender Zweiundzwanzigjähriger, der mir immer schon sehr nahe gestanden hatte und mich viel besser kannte als die meisten anderen, beiseite. »Tante Doreen. Du machst wirklich jeden Blödsinn mit.«
»Genau«, konterte ich rülpsend und kippte mir ohne jede Scham auch noch den letzten betäubenden Tropfen hinter die Binde.
Der nächste Morgen, ein Sonntag - neuer Tag … und eine neue Matratze. Tim brachte den Großteil des Vormittags damit zu, dieses verdammte Türschloss zu reparieren, diesmal mit Hilfe seines Bruders und Neffen, während ich mit Shula im Bett blieb. Seit der Nacht vor unserem Aufbruch in Boulder hatte ich nicht mehr richtig geschlafen.
Ich wusste, dass Tim viel Freude an einem gemeinsamen Projekt mit seinem Bruder und Neffen haben würde. Er war der Erste in seiner Familie, der aufs College gegangen war, und, ganz ehrlich, sie wussten alle nicht recht, was sie mit ihm anfangen sollte. Dies in Verbindung mit der Tatsache, dass er zehn beziehungsweise elf Jahre jünger war als seine einzigen Geschwister (in Wahrheit waren sie seine Halbbrüder), hatte das Gefühl in ihm geweckt, ein Außenseiter zu sein. Somit war die Reparatur des Schlosses ein Projekt, dem sich Allround-Freak, Allround-Freak-Bruder und Allround-Freak-Light gemeinsam widmen konnten. Es war eine dieser Tätigkeiten, die Menschen zusammenschweißt, so wie Einkaufen bei Frauen: Genauso anstrengend und mit derselben Anforderung an Teamgeist und Problemlösungskompetenz (»Wie lang sollte ein Blazer sein, wenn man ihn zu einem Rock dieser Länge trägt?«)
und in gewisser Weise genauso erfüllend, selbst wenn man am Ende nichts Schickes hat, was am Ende als Lohn für die Mühe herausspringt.
Bis zu meiner Scheidung hatte ich keine allzu engen Bindungen zu Menschen gehabt, die nicht dem jüdischen Glauben angehören. Ich bin in Long Island aufgewachsen, habe in New York das College absolviert und einen Juden geheiratet. Als Einzelkind, noch dazu als jüdisches, hatte ich stets die Last der Erwartungen auf meinen Schultern gespürt. Tims Familie dagegen war völlig anders. Während ich mich häufig darüber beschwerte, mich während des Erwachsenwerdens gefühlt zu haben, als lebe jemand erst durch mich (das Leben mit einer jüdischen Mutter ist vergleichbar damit, einen siamesischen Zwilling zu haben, der etwas älter ist als man selbst), beklagte Tim das genaue Gegenteil davon: Seine Familie hatte ihn niemals ermutigt, Arzt zu werden, ja, noch nicht einmal, aufs College zu gehen. Während seine Eltern immer wieder ihr Bedauern ausgedrückt hatten, nicht in den Genuss einer soliden Ausbildung gekommen zu sein, war es ihr Kampf ums Überleben gewesen, der Tim motiviert hatte, Mediziner zu werden. (Er hatte Naturwissenschaften schon immer geliebt und war davon ausgegangen, eines Tages in die Forschung zu gehen. Gleichzeitig jedoch hatte er Freude am Umgang mit Menschen, daher sein Entschluss, Arzt zu werden.) Natürlich wünschte
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