Eine Frau - Ein Bus
»Betonleitpfosten«, informierte Tim mich. Die Tatsache, dass er die korrekte Bezeichnung dafür kannte, machte meine Angst nicht kleiner.
»Bist du sicher, dass wir da durchpassen?«, fragte ich Tim ununterbrochen. Ja, ja, versuchte er mich ein ums andere Mal zu beschwichtigen.
»Aber sieh nur, wie wenig Platz da ist! Was, wenn du -«
»Vielleicht können Bob und Frances dich ja zum Highway fahren«, unterbrach er mich schließlich genervt.
»Vielleicht können Bob und Frances mich ja zum Flughafen fahren«, maulte ich leise zurück.
An unserem letzten Abend nahmen Bob und Frances uns mit zu Joanne und Jay, die einige Meilen entfernt wohnten.
Seit etwa zehn Jahren spielten Jay und sein Freund Don dort jeden Mittwochabend Bluegrass: Jay, ein distinguiert aussehender Siebzigjähriger, spielte Gitarre und Mandoline; Don, ein gut aussehender, schlaksiger, gut gelaunter Mann, der nur wenig jünger war und sich gern vor Vergnügen auf die Schenkel schlug (es sei denn, er hatte ein Instrument in der Hand, dann kompensierte er die Tatsache, dass er sich nicht auf die Schenkel klopfen konnte, mit einem noch breiteren Grinsen), übernahm Gitarre und Banjo.
Wir saßen auf der Terrasse mit einem weiteren Paar aus der Nachbarschaft und Joanne und Jays zweijährigem Chihuahua-Weibchen, Troubles, das ständig hin und her lief und bettelte, auf den Schoß genommen zu werden. Es war unübersehbar, dass Troubles ein Weibchen war, da ich diese Das-Gras-in-Nachbars-Garten-ist-immer-grüner-Haltung häufig bei meinen jungen weiblichen Patienten beobachtet hatte: Kaum hatte Troubles bekommen, was sie wollte, und saß bei jemandem auf dem Schoß, gelangte sie zu dem Schluss, dass es einen hübscheren Schoß gab, und wollte auf den Boden zurück. Tim und ich hielten sie mehrere Male, wohl wissend, dass wir später dafür noch bezahlen würden - wenn wir in den Bus zurückkehrten, würden unsere eigenen Tier, uns mit vorwurfsvollen Blicken strafen, als hätten sie herausgefunden, dass wir fremdgegangen waren.
Obwohl ich mich während des gesamten Besuchs gefragt hatte, weshalb jemand freiwillig in Van Buren leben wollte, musste ich zugeben, dass ich mich an diesem Abend von seinem Zauber gefangen nehmen ließ. Als wir auf der Terrasse saßen, umgeben von hohen, schlanken Bäumen, brach die Dämmerung herein, und die Kolibris wurden von Glühwürmchen abgelöst. Ein Reh stand mit seinem Kitz
am Rand des Gartens. Doch erst als mich die entspannte Behaglichkeit der Gegenwart vertrauter Freunde umhüllte, konnte ich nachvollziehen, dass man den Wunsch verspüren konnte, sich hier niederzulassen. Tim und ich gingen zwar sehr gern mit anderen Paaren aus, doch viel zu oft war es etwas, das wir »planen« mussten. Und damit war es fast, als opferten wir etwas anderes dafür - obwohl nie ganz klar war, was es sein könnte. Unser Leben war so von zeitlichen Einschränkungen bestimmt, dass wir etwas, was eigentlich Spaß machen sollte, häufig beinahe als Last empfanden. Dieses Gefühl war mir bei den Menschen in Van Buren nie aufgefallen.
Jay und Don spielten ein paar Songs, legten eine kleine Pause ein, während die Anwesenden plauderten, und spielten dann weiter. Gelegentlich musste Don lachen, wahrscheinlich weil er sich vergriffen hatte, doch ich hörte nie einen schiefen Ton heraus. »Don, wenn du nicht lachen würdest, wüsste keiner, dass du falsch gespielt hast«, sagte Bob. Während einer ihrer Pausen erzählte Jay von einer Kuh, die an irgendeiner Muskelerkrankung litt und der er es zu verdanken hatte, dass er ziemlich streng roch. Don erwiderte, das würde ihn nicht stören, da er ohnehin nichts riechen könne: Seine Geruchsnerven waren im Zuge einer Zahnoperation ein paar Jahre zuvor durchtrennt worden. »Aber«, fuhr er mit seinem gewohnt bereitwilligen Lächeln fort, »bei der Arbeit gibt es einen Kerl, der weder riechen noch schmecken kann, das heißt, ich bin noch gut dran.«
Er hatte erst spät im Leben angefangen, Musik zu machen: Mit dreißig hatte er plötzlich das Bedürfnis verspürt, hatte einen Lehrer gefunden und festgestellt, dass er Talent besaß. Leider bekamen wir nicht genug von diesen wundervollen Klängen zu hören, da Don am nächsten Morgen
um halb vier aufstehen musste, um seine Schicht in der Fabrik anzutreten. Scheinbar besaß er mehr als dieses eine Talent - sein wahres Talent liegt im Verständnis dessen, was wichtig ist im Leben: Obwohl er durch den Verkauf seines Banjos so viel Geld bekäme wie für
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