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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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Abendnachrichten anzusehen, aber Tim und ich hatten uns inzwischen daran gewöhnt, dass beim Abendessen kein Fernseher lief. Stattdessen gönnten wir uns nach wie vor unsere Happy Hour vor dem Bus, saßen auf unseren Liegestühlen und genossen den Sonnenuntergang mit Miles. Dann gingen wir hinein, schalteten die Stereoanlage ein (die mittlerweile hervorragend funktionierte) und hörten Musik, während wir aßen und redeten. Wenn einer »unserer« Songs kam, tanzten wir sogar, sofern es bei den Platzverhältnissen möglich war. Wir gewannen diese neue Tradition so lieb, dass wir sie zu einer Dauereinrichtung machten und
nie wieder Fernsehen während des Abendessens einreißen ließen.
    Mir war nie bewusst gewesen, dass South Dakota Teil des alten Wilden Westens war. Selbst nachdem ich seit über einem Vierteljahrhundert nicht mehr in New York lebte, betrachtete ich die Staaten immer noch wie diese uralte Zeichnung aus dem New Yorker - mit der Stadt der Städte im Mittelpunkt des Universums und allem anderen … na ja … eben sonstwo. Colorado selbst sieht sich als Teil des Westens, doch allem Anschein nach haben die Einwohner schon lange keinen Blick mehr auf die Landkarte geworfen, denn mehr in der Mitte des Landes kann man eigentlich nicht sein. Und auch wenn es etliche historische Gebäude im »Western«-Stil gibt, ist das Flair des Südwestens (was ich angesichts der geografischen Lage noch weniger nachvollziehen kann) ebenfalls allgegenwärtig (wie die zahlreichen Häuser mit roten Ziegeldächern und Böden mit mexikanischen Fliesen beweisen).
    Tim, der aus Nevada stammt, hat sich immer als Bewohner des Westens gefühlt, obwohl ich auch in Reno nie viele Beweise für den »Westen« gesehen habe. Aber als wir nun durch South Dakota fuhren, erklärte Tim, für ihn bedeute der »Westen« nicht unbedingt, wie ein Ort aussehe, oder noch nicht einmal, wo er liege, sondern eher, wie er sich anfühle. Um »Westen«-mäßig zu sein, müsse man die »Leben und leben lassen«-Haltung absorbiert haben und den festen Glauben besitzen, dass man es entweder aus eigener Kraft schaffte oder scheiterte. Letzten Endes bedeutete es auch eine tief gehende Leidenschaft für alles, was mit der freien Natur zu tun hatte. (Kein Wunder, dass ich keine Ahnung von all dem hatte.)
    Ich schätze, da ich nicht aus dem Westen stamme (und
vielleicht auch, was noch viel wichtiger ist, weil ich jenem Grüppchen angehöre, für das Einkaufszentren das Allergrößte sind), hatte ich »den Westen« nie mit etwas anderem als einer bestimmten Landschaftsform und einem architektonischen Stil in Verbindung gebracht.
    Und so war es in South Dakota (das, rein technisch gesehen, noch weniger weit im Westen liegt als Colorado, aber von mir aus, ich versuche, mich auf dieses Land-als-Gesamtes-Konzept einzulassen), wurde mir endlich klar, wie es sich anfühlte, an einem Ort zu sein, der »Der Westen« war. Seltsam, dass es sich keineswegs fremdartig anfühlte. Es kommt mir vor, als wäre dieser Ethos des Alten Westens so typisch amerikanisch, dass es keine Rolle spielt, woher man ursprünglich kommt (und selbst für mich als Tochter der Generation, die zuerst auf der einen, dann auf der anderen Seite gelebt hat, scheint es, als würden wir ein und dieselbe Geschichte teilen). So sentimental es sich anhören mag (vielleicht färbte etwas von dem 15-Meter-Teddy-Roosevelt auf mich ab - runter mit dir, Teddy! Los, runter!), fühlt es sich fast wie Nachhausekommen an.
    Aus diesem Grund war ich entzückt, als ich durch Deadwood schlenderte (das etwa vierzig Meilen nordwestlich von Rapid City liegt; eine Gemeinde, die während des letzten großen Goldrauschs des kontinentalen Amerika ihre Blüte erlebte) und eine Kostprobe des Alten Westens bekam - besonders als ich den Saloon betrat, in dem Wild Bill Hickok erschossen wurde. Vielleicht verkörperte er das Prinzip des Lebens und Lebenlassens besser als die meisten anderen (obwohl es in seinem Fall vielleicht eher »Leben und sterben lassen« lauten sollte).
    Wild Bill erlernte seine legendären Schießkünste auf der Farm seines Vaters, die als Anlaufstelle der Underground
Railroad in den 1840ern diente. Sein angeborenes Talent erwies sich als ausgesprochen nützlich, um flüchtende Sklaven zu beschützen. Später, als er als Postkutscher arbeitete, erlegte er einen Grizzlybären mit einem Bowiemesser, was seinen ohnehin bereits wachsenden Ruf als furchtloser, »wilder« Kämpfer noch weiter festigte.
    Als

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