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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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wie bei der Autogrammstunde mit Rex Gildo, erschien ein Fräulein und bot auf einem Tablett Sekt und Orangensaft an. Und wieder, genau wie bei Rex Gildo, wurde ich hochmütig. Die Menschen, die ich noch kurz zuvor diskret, fast vornehm auf Rolltreppen durch die Etagen hatte schweben sehen, verwandelten sich jetzt in ein dumm-dusseliges Purzelvolk, das Schürzen, Schinken und Schuhe an sich riß und dabei eine Art Beglückung erlebte. Eine derartige Verwandlung hatte ich nicht für möglich gehalten. Warum war ich von diesen Menschen so sehr getrennt? Die Massenbeglückung schlug sich bei mir als leise Beklemmung nieder. Ich versuchte, ein oder zwei richtige Gedanken zu denken: Nach dem Ende des Naziterrors sind die Deutschen in der Geschichtsstille eingetroffen. Jetzt dürfen sie entdecken, daß es einfache Seligkeiten gibt (Strohhüte, Süßigkeiten, Strandschuhe), die zum Leben völlig ausreichen. Und weil du den Naziterror nur aus Büchern kennst, verstehst du das Glück dieser Leute nicht. Aber beruhigende Gedanken dieser Art beruhigten mich nicht lange. Denn schon war die nächste Frage, die nächste Empörung da: Warum wurden die Menschen in diesem endlich erreichten Glück so läppisch, einfältig und töricht? Dabei kam mir mein Hochmut schon vertraut vor. Es war, als hätte das Gefühl der Herablassung schon seine eigene Dauer gefunden. Ich starrte noch immer auf das Gewoge und Geschiebe an den Verkaufstischen. Die Italienische Woche war ein durchschlagender Erfolg. Im stillen wartete ich auf den Ausbruch eines allgemeinen Gelächters. Denn nur Lachen und Spott war als Antwort auf dieses billige Kaufhausglück möglich. Das Fräulein mit dem Silbertablett trat noch einmal an mich heran, ich nahm mir ein zweites Glas Sekt. Mit hilfloser Strenge stand ich beiseite und beobachtete eine Frau, die sich erregt eine kleine Terrakottafigur gegen die Brust drückte und sie dann kaufte. Es gab kein Gelächter. Ich mußte hinnehmen: Die kleine Freude wurde als wirkliches und wahrhaftes Glück empfunden. Der Geschäftsführer kam herbei und überreichte jedem Pressevertreter einen Präsentkorb mit einer Salami, einem Stück Parmaschinken, einer kleinen Flasche Grappa und zwei Servietten aus leichtem Batist. An der Seite von Frau Clemens, einer Wirtschaftsredakteurin der Volkszeitung, fuhr ich mit der Rolltreppe nach unten. Es erleichterte mich, daß Frau Clemens über ihren Präsentkorb lachte. Es machte ihr nichts aus, mit dem Präsentkorb auf dem Arm durch die Straßen zu gehen. Schon nach wenigen Minuten durchschaute sie meine Verlegenheit und zog aus ihrer Handtasche eine zusammengefaltete Plastiktüte hervor. Ich faltete sie auseinander und versenkte darin den Präsentkorb. Etwas zu heftig bedankte ich mich bei Frau Clemens und verabschiedete mich von ihr.
    Auf dem Rückweg zur Redaktion fand ich ein Straßencafé und ließ mich an einem Tisch in der hintersten Reihe nieder. Den Präsentkorb stellte ich neben mir auf dem Boden ab. Die Beklemmung über meine Erlebnisse hallte in mir nach. Ich wünschte nicht, von den anderen getrennt zu sein, und lebte doch schon in dieser Trennung. Ich verstand nicht einmal, warum es diese Trennung gab. In dieser Zeit hatte ich noch nicht den Mut, das Leben unverständlich zu nennen. Jetzt hatte ich die Hoffnung, das Problem allein durch Nachdenken zu verlieren. Vor allem wollte ich wissen, ob der Hochmut schon immer ein Teil meiner Substanz war, der nur auf seine Entbindung (durch den Journalismus) gewartet hatte. Ich betrachtete die kaffeetrinkenden und ausruhenden Menschen und verwand oder verwand nicht, daß ich nicht die Denkkraft hatte, die zur Beantwortung meiner Frage nötig war. Es war entsetzlich. Ich saß da und konnte mich nicht von der Idee meines Hochmuts befreien. Möglicherweise war ich nur ein kleiner Stadtaffe, der unauffällig seine Ressentiments ausleben wollte. Schon fürchtete ich das langsame Anwachsen der Arroganz in mir. In diesen Augenblicken entdeckte ich am Rand der Caféterrasse das Gesicht von Frau Kiefer. Sie saß dort mit ihrem Mann und dem Kind. Ein Schreck betäubte den Hochmut. Frau Kiefer hob sich eine Tasse an den Mund, das Kind stieß mit einem Löffel in das Eis. Herr Kiefer saß unbeweglich neben seiner Frau und schaute umher. Ich saß genügend weit von ihnen entfernt und fühlte, daß mich der Anblick von Frau Kiefer entlastete. Immer wieder hatte ich mich gefragt, wie es mit Frau Kiefer und mir weitergehen sollte, wenn ich in etwa

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