Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
regelmäßiges Verschwinden am Wochenende führte dazu, daß er an Samstagen und Sonntagen keine Termine wahrnehmen konnte. Die Kollegen schienen Verständnis mit ihm zu haben, aber das Verständnis war unecht. Eines von beiden wird er aufgeben müssen, entweder seine Stelle oder seine Ehe, hieß es hinter nicht mal vorgehaltener Hand. Er hatte den Artikel über die Schwimmeisterschaften gefunden. Flatschi Batschi, sagte er und verließ lachend mein Zimmer.
Das Kaufhaus Hertie war etwa zwanzig Minuten vom Tagesanzeiger entfernt. Unterwegs sah ich einen Mann, der einem ganzen Haus drohte. Er stand auf der Straße und schüttelte und schleuderte seine linke Faust zum zweiten Stockwerk hinauf. Aber das Haus antwortete auf die Drohung nicht. Alle Fenster blieben geschlossen. Im Kaufhaus bewunderte ich die Ruhe und Schönheit der Menschen, die auf Rolltreppen stehend aneinander vorbeifuhren. In der Erfrischungsabteilung betrachtete ich Rentner, die aus Langeweile schon um 11.00 Uhr zu Mittag gegessen hatten und jetzt wie halbgelähmt herumsaßen. Viele der alten Ehepaare hatten einen gemeinsamen Geldbeutel. Die Frau verwahrte die Börse, aber zahlen sollte der Mann. Ich sah eine Frau, die den Geldbeutel unter dem Tisch an ihren Mann übergeben wollte. Aber der Mann war ungeschickt, die Börse fiel auf den Boden. Aus Verärgerung starrte die Frau auf ihren leer gegessenen Teller. Der ungeschickte Mann krabbelte unter den Tisch und zeigte dabei ein schmerzverzerrtes Gesicht, das ich gerne fotografiert hätte. Kurz darauf hörte ich eine mir vertraute Stimme. Ich machte einen Fehler und drehte mich nach der Stimme um. Sie gehörte meinem ehemaligen Erdkundelehrer. Er erkannte mich, ich erkannte ihn. Ich rechnete damit, daß er mich auf der Stelle über die südamerikanischen Länder Honduras, Costa Rica, Guatemala und Venezuela ausfragen würde, die ich im Unterricht bei ihm oft miteinander verwechselt hatte. Es ergriff mich eine peinigende Heftigkeit, die schon nach wenigen Sekunden dazu führte, daß ich den Lehrer im stillen duzte. Du hast das Recht des Interesses an meinem Leben verwirkt, dachte ich erregt. Beinahe hätte ich die Faust gehoben, wie der Mann, der einem ganzen Haus gedroht hatte. Wir brachten es auf drei oder vier verwirrte Blicke, dann drehte der Lehrer ab.
Die dritte Etage war in eine Art italienischer Markt verwandelt worden. Die Verkaufstische waren mit gestreiften Markisen überspannt, die Waren mit weißen Tüchern noch abgedeckt. Überall hingen falsche Zitronen, falsche Orangen und bunte Hütchen mit weißen und blauen Bändern. Hunderte von Kunden stauten sich rings an den Wänden und warteten auf die Freigabe der Verkaufstische. Eine Substitutin führte mich in die Nähe eines Mikrofons und stellte mich dem Geschäftsführer vor. Die Kollegen von den anderen Zeitungen waren schon eine Weile da. An der Decke schwebten Luftballons, aus Lautsprechern drangen italienische Schlager beziehungsweise deutsche Schlager mit italienischen Themen beziehungsweise deutsche Schlager mit deutschen Vorstellungen von italienischen Themen. Unter den Gästen erkannte ich Dr. Alessio vom Italienischen Fremdenverkehrsamt. Obwohl er mich bei seiner Pressekonferenz immer wieder angeschaut hatte, schien er sich nicht mehr an mich zu erinnern. Der Geschäftsführer trat an das Mikrofon, die Musik verstummte. Meine Damen und Herren! Unser Haus hat keine Kosten und Mühen gescheut, Ihnen das wundervolle Italien näherzubringen. Ich lehnte mich gegen eine Säule und machte Notizen. Höhepunkt der Italienischen Woche ist ein Preisausschreiben, an dem Sie hoffentlich recht zahlreich teilnehmen! Erster Preis ist eine Woche an der Adria für zwei Personen. Ein zweiter Höhepunkt ist am Freitag der Auftritt einer italienischen Folkloregruppe, die neapolitanische Auswandererlieder zu Gehör bringt! Aber die Hauptattraktion ist natürlich unser italienisches Sonderangebot, rief der Geschäftsführer. Es gibt zauberhafte Strohhüte aus Venedig, es gibt elegante Schuhe aus Ligurien, es gibt Gorgonzola aus Bergamo, Schinken aus den Abruzzen, Teigwaren aus Venetien und Süßigkeiten aus Turin! Ich kann nicht alles aufzählen, schauen Sie sich bitte selbst um! Ich will Sie nicht mehr allzu lange auf die Folter spannen und eröffne hiermit die Italienische Woche!
Kurz darauf zogen junge Verkäuferinnen die weißen Tücher von den Verkaufstischen herunter, und die bis dahin zurückgestauten Kunden strömten in die Gänge. Wieder, genau
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