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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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und im Hallendienst aushelfen konnten. Der für mich zuständige Prokurist hatte eine elektrische Klingel auf seinen Schreibtisch anbringen lassen. Wenn er seine Hand auf den Klingelknopf legte und ich das Klingelzeichen hörte, hatte ich in seinem Büro zu erscheinen. Die Klingel bedrückte mich, aber ich war machtlos. Das heißt, vollkommen machtlos war ich nicht. Immer öfter, wenn ich sein Büro betrat, sagte ich leise zu mir selber: Warte nur ein Weilchen, dann schreibe ich über dich. Diese nicht ausgesprochene Drohung beruhigte mich. Der Prokurist sagte, ich müßte auch den Umgang mit dem Sackkarren lernen. Mit diesem einfachen Satz machte er mich zum Arbeiter. Wenn Not am Mann war, entlud ich jetzt Eisenbahnwaggons oder staute große Kartons (mit Fernsehtruhen drin) auf die Ladeflächen von LKWs. Angeblich gehörte das alles zur Ausbildung. Ich fügte mich, weil ich meine Eltern nicht erneut ratlos machen wollte. Zum Glück war ich außerdem Reporter. Daran dachte ich öfter am Tag, wenn ich mir mißbraucht erschien. Allerdings gefiel mir auch das innere Zwielicht des Doppellebens. Aus den Biographien vieler Schriftsteller wußte ich, daß die meisten von ihnen als Journalisten angefangen hatten. Deswegen wähnte ich mich in ihrer Spur auch dann, wenn ich für den Tagesanzeiger nur über lächerliche oder peinliche Ereignisse zu berichten hatte. Es gab vielleicht sogar einen Humus der Kläglichkeit, der all diesen Schriftstellern am Beginn ihres Lebens gemeinsam war. Schon nach zwei Wochen begann ich, das Leben eines Lagerarbeiters sogar zu schätzen, jedenfalls vorübergehend. Immerhin war ich den lauernden Blicken der Angestellten entzogen. Die Arbeiter beobachteten mich zwar auch, aber ihre Blicke waren ohne Bedeutung und blieben folgenlos. Meine Situation schien mir schon deswegen gerechtfertigt, weil sie mir zu eigenen Beobachtungen verhalf. Besonders das unbegreifliche Leben der Arbeiter fesselte mich. Sie schienen ihre Dumpfheit nicht zu bekämpfen. Sie erlaubte ihnen, als Halbtote durch das Leben zu kommen. Wenn eine Kolonne (vier Sackkarrenfahrer und ein Vorarbeiter) ein paar Waggons entladen hatte, war es den Arbeitern erlaubt, sich einen Schlupfwinkel zu suchen und sich eine Weile auszuruhen. Ich legte mich auf die Oberseite einer großen Kiste und beobachtete die Bewegungen des Staubs. Sobald eine Staubfahne aus dem Sonnenlicht hinausschwebte, erloschen die Staubteile wie winzige Sterne. Und leuchteten wieder frisch auf, sobald sie einen neuen Sonnenstrahl durchquerten. Nicht weit von mir lagen der Lehrling Dieter Obergfell und das Lehrmädchen Anita Winnewisser auf ein paar weichen Torfsäcken, die demnächst an die Gärtnerei ausgeliefert wurden, die mich als Lehrling verschmäht hatte. Die Lehrlinge küßten sich und rauchten dabei und merkten nicht, daß ich ihnen aus einiger Entfernung (und von oben) zusah. Sie streckten die Hände mit den Zigaretten von sich weg und atmeten sich dann doch die Rauchreste gegenseitig in den Mund. Anita Winnewisser ekelte sich deutlich sichtbar, aber sie wußte nicht, wie sie den Ekel abstellen sollte, ohne das Küssen dafür zu opfern. Absolut hoffnungslos war ein älterer Arbeiter, der mit einer Flasche Bier auf einem Betonsockel saß. Er kratzte mit den Fingernägeln das Etikett von der Bierflasche herunter und betrachtete dann das kleine Häuflein von Papierfitzelchen, das sich neben der Flasche sammelte.
    In der Firma ahnte niemand, daß ich einen Zweitberuf hatte. Ich redete nicht über das Schreiben, jedenfalls nicht im Betrieb. Ein Problem war, daß ich nach der Arbeit in den Hallen oft selber eingestaubt war. Es gab keine besondere Arbeitskleidung für Lagerarbeiter. Zwischen dem Feierabend und dem Beginn eines Zeitungstermins blieb nicht viel Spielraum. Ich hatte oft nicht einmal Zeit, nach Hause zu gehen und eine andere Hose anzuziehen. So klopfte ich während des Gehens mit der Hand den Staub aus der Kleidung und reinigte mit Spucke die Schuhe. Trotzdem empfand ich Vergnügen an diesen Übergängen, am Wechsel der Atmosphären. Ich betrachtete mich in Schaufensterscheiben und dachte: Schau schau, der als Lagerarbeiter mißbrauchte Lehrling geht zu einer Pressekonferenz. Es gefiel mir, andere Journalisten kennenzulernen, sogar einige bekannte. Es gefiel mir, abends an kalten Buffets zu stehen und irgendwas zu markieren. Es gefiel mir, immer mehr Aufträge zu bekommen, auch von anderen Zeitungen. Es gefiel mir, die Welt der Wichtigtuer und

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