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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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der Woche eine Schauspielschule besuchte. Bis zu seiner Abschlußprüfung brauchte er noch mindestens zwei Jahre Unterricht. Auch er war, genau wie ich, nur aus Verlegenheit ein Lehrling. Unser Gelächter zog den Lehrling Peter Sömmering an. Vermutlich glaubte er, daß wir uns Witze erzählten. Er begann, das schmutzige Geschirr auf unserem Tisch zur Essensausgabe zurückzubringen. Anselm und ich überlegten, ob wir ihn daran hindern sollten, aber wir wollten auch nicht unverständlich erscheinen. So schauten wir nur verdutzt dabei zu, wie Sömmering unsere Tarnung Stück für Stück abräumte. Dann beugte er sich über sein Stammessen I und sah uns an. Aber Peter Sömmering erzählte keine Witze, sondern beschwerte sich über die stumpfen Messer.
    In dieser Zeit gelang es mir, zur Lokalredaktion des nun schon lange nicht mehr existierenden Tagesanzeigers einen Kontakt herzustellen. Ich drücke das so vage aus, weil ich die Art meiner Annäherung nicht mehr erinnere. Wahrscheinlich habe ich die Zeitung aufgesucht und den Redakteuren ein paar meiner Sachen gezeigt. Vielleicht habe ich ihnen auch einige Texte geschickt und sie nach einiger Zeit angerufen. Dann kommen fünf Minuten, an die ich mich sehr gut erinnere. Sie gelten einem Lokalredakteur, der sich tatsächlich mit mir einließ. Er war ein gehetzter junger Mann mit bleichem Gesicht und raschen Bewegungen. Ich sagte ihm nicht, daß ich Lehrling war, er interessierte sich auch nicht dafür. Während er mit mir redete, tippte er zwischendurch ein paar Sätze in seine Schreibmaschine, was mich stark beeindruckte. Er wollte nicht einmal wissen, ob ich je im Journalismus gearbeitet hatte. Vermutlich erkannte er, daß ich ahnungslos war. Ich hielt meinen Besuch schon fast für mißlungen, dann stellte mir der Redakteur doch noch eine Frage. Er deutete auf eine kleine Satire, die ich im Simplicissimus veröffentlicht hatte, und wollte wissen, wieviel Zeit ich für einen solchen Text brauche.
    Wenn mir klar ist, wie der Anfang und wie der Schluß aussehen soll, sagte ich, sitze ich daran etwa zwei Stunden.
    Vermutlich steckte in dieser Antwort die entscheidende Information. Herrdegen (so hieß der Redakteur) brauchte jemanden, der schnell arbeitete. Nach weiteren drei Minuten gab er mir einen »Termin«, das heißt, er beauftragte mich, für seine Zeitung eine Veranstaltung zu besuchen und über sie einen knappen Bericht zu schreiben. Eineinhalb Schreibmaschinenseiten, mehr nicht. Der fertige Artikel sollte ihm am Mittag des folgenden Tages vorliegen.
    Nach diesem Gespräch war ich Journalist geworden, vorerst zweimal in der Woche. Mein erster Auftrag war ein Bericht über einen Dia-Vortrag über die norwegischen Fjorde. Dia-Vorträge über fremde Länder waren damals sehr beliebt, die Stadthalle war überfüllt. Die Menge der Zuhörer schüchterte mich ein. Vorne, dicht neben dem Pult des Vortragsredners, gab es einen Extratisch für die Damen und Herren der Lokalpresse, die der Redner besonders begrüßte. Ich war erregt und machte mir viel zuviel Notizen. Mir war klar, daß ich meinen Artikel nicht am nächsten Morgen im Büro der Spedition schreiben konnte. Ich setzte mich, als ich gegen 23.00 Uhr nach Hause zurückkehrte, an den Küchentisch und begann zu tippen. Während der Arbeit hörte ich Vater schnarchen und Mutter stöhnen. Einmal erschien Mutter im Nachthemd in der Küche und schluckte mit einem halben Glas Wasser zwei Tabletten. Sie lächelte mir zu, fragte aber nichts. Gegen 2.00 Uhr war ich mit meinem Artikel fertig. In der Mittagspause des folgenden Tages brachte ich das Manuskript in die Redaktion des Tagesanzeigers. Herrdegen las den Artikel durch und gab mir nach kurzer Überlegung einen neuen Termin. Ich schloß daraus, daß mein erster Beitrag angenommen war. Tatsächlich erschien er schon einen Tag später in der Zeitung. Erst viele Jahre danach wunderte mich die Einfachheit der Vorgänge. Wie simpel und gleichzeitig großartig es damals war, an eine Tür zu klopfen und nach fünf Minuten arbeiten zu dürfen.
    Ab sofort führte ich ein Doppelleben. Tagsüber war ich kaufmännischer Lehrling, abends Reporter. Obwohl die Lehre unangenehme Züge annahm, war mein Leben überraschend aufregend und geheimnisvoll geworden. Nach zwei Monaten wurde deutlich, warum ich trotz meiner schlechten Zeugnisse eingestellt worden war. Die Spedition hatte nicht immer genügend Lagerarbeiter und Beifahrer. Deswegen brauchte sie starke junge Männer, die im Fuhrpark

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