Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
Vereinsmeier kennenzulernen, die ihren Namen in der Zeitung wiederfinden wollten. Das heißt, ich hatte Anteil an der Überheblichkeit des Schreibens und der Schreibenden. Es war nicht nur schön, jeden zweiten oder dritten Tag in der Nacht schreiben zu dürfen und dafür auch noch bezahlt zu werden, wenn auch schlecht. Ebenso anregend war das Eintauchen in eine andere Welt, das Herumsitzen in Foyers und Nebenzimmern, das Studium eines nachlässigeren Lebensstils. Es gefiel mir aber auch, am folgenden Morgen das Hauptgebäude meiner sogenannten Lehrfirma zu betreten und auf das Klingeln des Prokuristen zu warten.
Am Abend eines ziemlich verdreckten Tages sagte mir Gudrun, daß ihre Mutter für drei Tage zu ihrer Schwester nach Berlin verreist sei. Ich glaube, ich verstand diese Mitteilung und begleitete Gudrun diesmal bis in die Wohnung. Gudrun reinigte meine Kleidung und meine Schuhe und sagte mir, daß ich ein Bad nehmen solle. Ich stieg in die Wanne und hörte, wie Gudrun nebenan den Tisch deckte. Zwanzig Minuten später saß ich mit Gudrun weitgehend staubfrei an einem Abendbrottisch. Gudrun stellte das Radio an und erzählte Anekdoten aus ihrem Büro. Das Radio spielte eine Beethoven-Sinfonie, und Gudrun sagte, daß sie neuerdings Mozart mehr schätzte als Beethoven. Mein literarischer Großvortrag begann an diesem Abend mit Henry Miller. Ich schilderte seine Hungerjahre in Paris, als er wie ein Hausierer von Tür zu Tür ging und seine Gedichte verkaufen wollte. Danach erklärte ich, warum Thomas Mann das Abitur nicht geschafft hat. Von Thomas Mann wechselte ich zu Gottfried Benn und seiner schwer erträglichen Gewohnheit, seine Abende in stickigen Bierkneipen zu verbringen. Dort saß er inmitten von schrecklichen Spießern und schrieb seine schönsten Gedichte! sagte ich quer über den Tisch.
Gudrun räumte das Geschirr ab und gab mir eine Flasche Wein zum Entkorken. Gudrun duschte nebenan, ich schenkte mir ein Glas Wein ein und trank es auf einen Zug leer. Gudrun kam aus dem Badezimmer, nahm ihr Glas an sich und setzte sich auf die Couch. Damit es zwischen uns zu keiner Bauchhochzeit kam, hatten wir uns freiwillig bestimmte Grenzen gesetzt. Es war erlaubt, das heißt überraschungsfrei geläufig, daß ich Gudrun von oben in die Bluse und in den Büstenhalter faßte. Es war nicht erlaubt, während des Knutschens seitlich auf die Couch umzukippen und trotzdem weiterzuknutschen. Jetzt sank Gudruns Oberkörper in Richtung Stehlampe um. Kaum lag sie, rückte sie enger zur Lehne hin, damit ich neben ihr noch Platz hatte auf der Couch. Nicht erlaubt war, sich in dieser Lage der Kleidung zu entledigen. Dennoch richtete Gudrun ihren Oberkörper auf und legte Bluse und Büstenhalter ab. Ich beendete meinen Großvortrag und sah auf die halbnackte Gudrun herab. Erlaubt war, daß sie eine Hand unter meinen Hosengürtel schob und die Hand auf meine Unterhose legte. An diesem Abend drang ihre Hand jedoch in meine Unterhose vor und umschloß dort mein aufgerichtetes Geschlecht. Mit herabstürzenden Küssen bedeckte ich Gudruns Busen. Ich hätte gerne so weitergemacht, aber dann kam doch alles ganz anders. Inzwischen war es 21.00 Uhr geworden, im Radio endete die Beethoven-Sinfonie. Die Radiosprecherin sagte: Der Süddeutsche Rundfunk setzt das Programm fort mit einem weiteren Werkstattgespräch zwischen Horst Bienek und einem jungen deutschen Schriftsteller. Ich kannte diese Werkstattgespräche und schätzte sie. An diesem Abend war Heinrich Böll an der Reihe, von dem ich erst kürzlich eine Erzählung mit dem Titel »So ward Abend und Morgen« gelesen hatte. Kurz danach begann das Interview. Heinrich Bölls Meinungen gefielen mir, außerdem mochte ich seine rheinisch singende Stimme. Als er sagte, daß er mit siebzehn oder achtzehn mit Schreiben begonnen hatte, dachte ich an mich selber und war begeistert. Ich stimmte ihm auch zu, als er sagte, daß Bildung im bürgerlichen Sinne jedem Künstler schade, weil sie ihn zu völlig überflüssigen Umwegen zwinge. Eine ganze Weile bemerkte ich nicht, daß mich das Gespräch mit Böll mehr fesselte als die erotischen Ereignisse. Gudrun zog kleinlaut ihre Hand zurück. Heinrich Böll sagte gerade, daß er auf seine Heimatstadt Köln nicht verzichten könne, da dämmerte mir, daß etwas falsch gelaufen war oder ich vielleicht versagt hatte und weiter versagte. Ich hörte immer noch Heinrich Böll zu und sah über Gudrun hinweg, ich starrte gegen die geblümte Tapete und war nicht
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