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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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in sich schnell nach Ada, damit die ihr einen Faden ihres Spotts reichte, an dem sie sich festhalten und an dem sie seine Gestalt und seine ganze Person aufribbeln konnte, samt diesem ganzen Ort, samt diesem Typ da, der vom Ende des Zimmers her in ihrem Kopf fieberte, doch ihr Herz zog sich schon zusammen, wie in Erwartung einer schlechten Nachricht.
    Sag mal, flüsterte sie erschöpft, kannst du mich sehen? Er murmelte, ja. Wie kommt es, dass wir plötzlich sehen? wunderte sie sich und fürchtete, sie fiebere wieder. Sie wandte ihren Blick ins Zimmer und sah nichts. Weder die leeren Betten noch diesen Typ, und als sie wieder geradeaus schaute, da sah sie Avram und jeden einzelnen Zug seines Gesichts.
    Plötzlich lachte er. Sie musterte ihn misstrauisch, was ist so komisch? Dass du mir nicht erlaubst, etwas Schlechtes über mich zu sagen. Er brummte noch ein stilles inneres Lachen, legte den Kopf schief und schaute sie mit einem neuen, provozierenden Blick an, als hätte er sich mit dem Mut, mit dem er sie vorher beschrieben hatte, ein gewisses Recht auf sie erworben. Doch ausgerechnet als er lachte, hatte sich sein Gesichtsausdruck völlig verändert. Er hatte schöne Zähne, weiß und ebenmäßig, und was für Lippen! Die ganze Partie seines Mundes, dachte Ora kraftlos, gehört irgendwie einem anderen. Wenn ihn mal ein Mädchen küsst, wird sie bestimmt die Augen schließen, dachte sie, dann hat sie bloß seinen Mund. Kann einem ein Mund genügen? Ein dummer Gedanke. Ihre Knie wurden ein bisschen weich. Im nächsten Moment würde sie fallen. Diese Krankheit machte sie fix und fertig. Und warum ist ihm sein Äußeres überhaupt so wichtig? dachte sie. Wenn er nicht die ganze Zeit damit rumnerven würde, hätte sie es gar nicht bemerkt. Oder doch? spottete sie nun über sich selbst, hättest du es wirklich nicht bemerkt? Würdest du mit so einem, der dir bis zumNabel reicht, überhaupt auf die Straße gehen? Mit ihm hier allein dazusitzen, in einem Zimmer im Krankenhaus um zwei Uhr nachts, ist keine Kunst. Dich wolln wir sehn, wie du mit ihm im Zentrum vom Carmel rumläufst, wie du ihn an den Stillen Strand mitnimmst, oder auf ein Fest mit den Kumpels, du feiges, verlogenes Huhn, du.
    Eine neue Welle des Schwindels schüttelte sie, und sie hielt sich am Ärmel seines Pyjamas fest, fiel fast auf ihn drauf. Ihr Gesicht war seinem sehr nah, hätte er versucht, sie zu küssen, sie hätte nicht die Kraft gehabt, den Kopf wegzudrehen. Er wartete, und sie schaute ihn fragend, beinahe flehend an. Er lächelte ihr ermunternd zu, voll Mitgefühl, als versuche er, sie zu beruhigen, ihr die Angst vor sich zu nehmen. Und dann, in einer unglaublich merkwürdigen Geste, hielt er sich die Hände vor den Bauch und drehte sie langsam um, die Handflächen nach oben, und war für einen Moment wie ein Zauberer, der versprach, ihr seinen größten Zauber ohne Tricks und Illusionen vorzuführen. Sie sah: Seine Handflächen waren zwei winzige Boote, die im Dunkeln schwammen. Was ist das? wunderte sie sich, wich einen Schritt zurück, setzte sich auf ihr Bett und starrte ihn an, was ist denn das? dachte sie, es ist, als ob sein Körper leuchtet.
    Ich will ihr von ihrer Stimme erzählen, sagte Avram später, als er wieder vor ihr saß, zusammengekauert auf seinem Stuhl und ein bisschen zu ihrem Bett hingebeugt. Denn die Stimme, die ist mir immer das Wichtigste, noch wichtiger als das Aussehen eines Mädchens. Ich kenne keine mit so einer Stimme, eine orangene Stimme, ich schwör’s dir, lach nicht, mit ein bisschen Gelb drum herum, wie eine Zitrone, und sie hüpft so. Wenn sie will, kann ich ihr jetzt auf der Stelle etwas sagen, was ich ihr unbedingt mal schreiben würde. – Interessant, sie sagt nicht nein.
    Ja, flüsterte Ora.
    Avram schluckte und bekam eine Gänsehaut. Mit aller Kraft umschlang er seinen Körper, beugte den Kopf und hielt in einer erstarrten Bewegung den Hals von ihr weggedreht. So sehr er wenigstens den Kopf zu ihr hinwenden wollte, um die Spannung in seinem Hals ein bisschen zu mindern, er konnte es nicht.
    Ich glaube, das wird ein Werk für Stimmen, nur für Stimmen, entfuhr es ihm, ich denke schon ein paar Tage daran herum. Seit wir angefangenhaben zu reden, und es wird mit vierzehn Sounden beginnen, verstehst du, mit einzelnen Klängen, einem nach dem andern, Stimmen von Menschen. Am meisten mag ich menschliche Stimmen. Es gibt keinen schöneren Klang auf der Welt, nicht wahr?
    Ja? Sag, du beschäftigst dich mit …

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