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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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immer alles kaputt. Er zog seine Decken bis über den Kopf und zog die Beine an die Brust.

    In den ersten Augenblicken, nachdem er abgehauen war, fühlte sie sich, als habe er sie mitsamt der Wurzel ausgerissen und sei mit seiner Beute geflohen. Sie rief noch ein paarmal laut hinter ihm her, danach leise, aber er kam nicht zurück. Die Schwester erschien, blieb in der Türöffnung stehen und schimpfte, was sie so schrie. Etwas Bitteres wand sich wie eine Schlange in ihrer Stimme. Ora erschrak und verstummte. Plötzlich kam die Schwester mit schnellen Schritten an ihr Bett, leuchtete ihr mit der Taschenlampe direkt in die Augen und schrie: Schlafen! Schlafen! Nicht mehr aufstehn! Und als die brennende Blendung nachließ, war sie schon aus dem Zimmer. Ora lag erschrocken in ihrem Bett und versuchte, sofort einzuschlafen, unter die Logik und die Gedanken hinabzutauchen, und sagte sich, es sei die Krankheit, die ihr diese Täuschungen vorspiegele, denn es war doch nicht möglich, dass die Schwester ihr etwas so Böses wirklich antat, und auch Avram nicht.
    Schlechte Gedanken krochen vom Boden auf ihr Bett, Albträume sprangen sie an und klammerten sich fest. Irgendwo draußen wimmerte die Schwester und schlug mit dem Kopf auf den Boden oder gegen die Wand, rachat falestin, rachat falestin , Palästina ist gefallen. Dann war es still, und danach füllte sich die Luft wieder mit den blechernenStimmen und der Militärmusik. Ich träume, murmelte Ora, das ist bloß ein Traum. Sie hielt sich die Ohren zu, und in ihrem Kopf hallte die mit arabischem Akzent hebräisch sprechende Stimme und erzählte von den glorreichen Panzern der syrischen Armee, die das zionistische Galiläa und die verbrecherischen zionistischen Kibbuzim plattwalzten, sie seien unterwegs, Haifa zu befreien und die Schande der Vertreibung von 48 zu sühnen, und Ora wusste, dass sie fliehen und sich retten musste, doch sie hatte keine Kraft. Dann herrschte wieder gespannte Stille, Ora schlief fast ein, doch plötzlich war sie hellwach, setzte sich im Bett auf und hielt sich die Streichholzschachtel wie einen Schutzschild vors Gesicht, denn sie meinte, am anderen Ende des Zimmers bewege sich jemand und riefe schwach. Ora, Ora sagte er wie im Schlaf zu ihr, mit einer ihr unbekannten Jungenstimme.

    Später, wer weiß, wie viel später, kam Avram zurück und brachte seine eigenen und auch Ilans Decken mit. Er betrat ihr Zimmer, sagte kein Wort zu ihr, wickelte Ilan gut ein und steckte die Zipfel der Decke unter ihm fest. Er setzte sich, hüllte auch sich in eine Decke und wartete, dass Ora etwas sagte.
    Sie sagte: Ich will nie mehr mit dir reden, nie mehr im Leben. Du bist doch gestört. Verschwinde aus meinem Leben.
    Er schwieg. Sie kochte: Du! Weißt du überhaupt, was für ein Scheißkerl du bist?
    Ich?
    Du bist so gestört, echt!
    Was hab ich getan?
    »Was hab ich getan?« Wohin bist du abgehaun?
    Ich bin bloß einen Moment in mein Zimmer.
    »Ich bin bloß einen Moment in mein Zimmer.« Speedy Gonzales! Lässt mich hier allein und verschwindet für ein paar Stunden.
    Stunden, du spinnst ja. Das war höchstens eine halbe Stunde, und du bist hier auch nicht allein.
    Halt die Klappe. Es ist besser für dich, wenn du nichts mehr sagst.
    Er schwieg. Sie berührte ihre Lippen. Es war, als stünden sie in Flammen.
    Nur eins sag mir noch …
    Was?
    Was hast du gesagt, wie heißt er noch?
    Ilan. Warum?
    Nur so.
    Wieso, Moment mal. Hat er was gesagt? Hat er geredet?
    Lass mich in Ruh. Ich will schlafen.
    Sag mir nur …
    Was denn jetzt noch?
    War hier …. Ist hier irgendwas passiert, als ich nicht da war?
    Was soll passiert sein? Du bist gegangen, du bist wiedergekommen, was kann denn …
    Ich bin gegangen-und-wiedergekommen? Plötzlich ist es »gegangen-und-wiedergekommen«?
    Hör auf damit.
    Nur einen Moment noch. Hat er geredet? Hat er im Schlaf was gesagt?
    Dein Freund?
    Er heißt Ilan. Das weißt du sehr gut: Ilan. Hat er mit dir gesprochen?
    Weiß nicht. Ich habe nichts gehört.
    Aber du bist aufgestanden, nicht wahr?
    Lass mich schlafen, wenn ich’s doch sag.
    Also bist du zu ihm hingegangen.
    Wer bist du eigentlich? Einer vom Geheimdienst?
    Und, hast du Licht gemacht?
    Das geht dich nichts an.
    Ich hab’s gewusst. Ich hab es gewusst.
    Dann hast du’s gewusst, Schlauberger, wenn du’s gewusst hast, warum bist du dann gegangen, als ich …
    Und du hast ihn gesehn.
    Ja, ich hab ihn gesehn! Na und?
    Na toll.

    Avram?
    Was?
    Ist er wirklich sehr

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