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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Musik?
    Nein, nicht genau mit Musik, es ist eher eine Verbindung von … Nicht so wichtig. Stimmen, was mich jetzt interessiert, in diesen Jahren, sind Stimmen.
    Ah, sagte Ora.
    Aber warum ausgerechnet vierzehn Sounde, fragte er flüsternd, gleichsam sich selbst, als wäre Ora gar nicht mit ihm im Zimmer, wirklich, warum eigentlich vierzehn, murmelte er vor sich hin. Ich weiß nicht, so fühl ich es. Das Zittern in seinem Körper beruhigte sich, er atmete wieder normal. In dem Moment, wo du von Ada erzählt hast, da wusste ich, das ist es, was ich brauche. Ich hatte so ein richtiges … Nicht wichtig. Beginnen wird es mit mit einem langen Ton, verstehst du? Ein Mensch wird einen langen Ton machen, so ein »ahhh«, sechs Viertel lang, und erst wenn das verklungen ist, beginnt der zweite mit seinem »ahhh«. Ja, jetzt hab ich’s auch selbst kapiert! Weißt du, wie das klingen wird?
    Nein, ich versteh überhaupt nicht, wovon du …
    Wie Schiffe im Nebel, die einander zututen. Hast du das mal gehört?
    Nein … Das heißt ja, ich bin doch aus Haifa.
    Und traurig wird es sein. Er zog die Luft durch die zusammengebissenen Zähne ein, und sie spürte: Im Nu war er ganz und gar in dieser Traurigkeit versunken, die ganze Welt war jetzt diese Traurigkeit, und plötzlich spürte sie auch selbst, ohne es zu wollen, wie ein bitterer Kummer nach ihr griff und an ihrem Herzen zog.
    Du wirst sehn, das wird wie so ein ganz langer Abschied. Seine Hand fuhr in die Luft, zeichnete etwas, eine klare, feine Linie leuchtete im Dunkel und verschwand: Ein Abschied und noch ein Abschied und noch ein Abschied, und es handelt auch von unseren Nächten hier, wie wir hier beide allein waren und miteinander geredet haben, und wie wir auch die ganze Zeit Angst hatten zu sterben: Was meinst du?
    Wozu?
    Dazu, ich meine, zu meiner Idee.
    Sie dachte: Vierzehn Sounde! Ihre Mutter hätte ihn auf der Stelle korrigiert, noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hätte, und hätte ihn für unkultiviert erklärt und verworfen, hätte seiner Stirn einen Stempel aufgedrückt, der das ganze Leben nicht mehr wegging: Ignorant. Und trotz allem hatte Ora auch ein merkwürdiges Gefühl, einen leichten Kitzel in den Eingeweiden, jauchzend und rachsüchtig – dass er es schaffen würde, sogar ihre Mutter durcheinanderzubringen, wenn er sie einmal, natürlich völlig zufällig, treffen würde. Er könnte sie verzaubern, auf der Stelle. Sie würde kapitulieren, trotz der vierzehn Sounde.
    Und laut sagte sie: Vielleicht wegen Ada?
    Was ist wegen Ada?
    Weil sie vierzehn war, hab ich dir doch erzählt, als sie …
    Was?
    Die Klänge, von denen du gesprochen hast, die vierzehn Klänge.
    Ah, warte – einer für jedes Jahr von ihr?
    Vielleicht.
    Du meinst … Warte! Dass jeder Klang wie …
    Genau …
    Ein Abschied von einem ihrer Jahre …?
    So was in der Art.
    Das ist schön. Echt … Daran hab ich nicht gedacht. Einer für jedes Jahr.
    Aber du hast es doch erfunden, lachte sie, komisch, dass du darüber staunst.
    Nein, du warst es, sagte Avram mit einem Lächeln, du hast mir erst gezeigt, was ich erfunden hab.

    Du inspirierst mich, hatte Ada manchmal in ihrem kindlichen Ernst zu ihr gesagt. Und Ora hatte gelacht: Ich? Ich kann dich inspirieren? Ich bin ein Bär mit einem sehr geringen Verstand! Und Ada – sie war damals dreizehn, erinnerte sich Ora, und nur ein Jahr von ihrem Tod entfernt, es ist entsetzlich, sich vorzustellen, dass sie überhaupt nicht an diese Möglichkeit dachte, sie war einfach auf der Welt, machte allesganz normal, ahnte nichts, und doch war sie in diesem Jahr in sich selbst noch tiefer, noch erwachsener und dichter geworden – Ada hatte damals nach Oras Hand gegriffen und sie beglückt und dankbar hin und her geschwenkt, du, ja du, du tust so, als säßest du still da, aber dann wirfst du plötzlich nur ein Wort ein oder stellst eine kleine Frage, und bumm: Alles ordnet sich in meinem Kopf, plötzlich weiß ich ganz genau, was ich sagen muss. Ach Ora, was tät ich ohne dich, wie könnt ich ohne dich leben?
    Sie erinnerte sich: Sie hatten sich tief in die Augen geschaut. Ein Jahr, mein Gott!
    Seit sie acht war, hatte Ada Tagebuch geführt und auch ganze Hefte mit Geschichten und flammenden Liebesgedichten an einen ausgedachten Geliebten gefüllt, der pausenlos wechselte. Immer hatte er irgendeine Behinderung, er war blind oder ihm fehlte ein Bein, und am besten war er völlig gelähmt, verständigte sich mit seiner Umwelt nur durch

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