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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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es ein ganzes Leben der Liebe brauchen würde, um wieder gutzumachen, was sie ihm dort angetan hatten. Doch den Brechreiz bekam sie nicht unter Kontrolle, und auch nicht das Zurückschrecken vor seinem Gesicht mit den ausgerissenen Augenbrauen; es gelang ihr einfach nicht, ihren Blick mit Liebe zu füllen, und eine metallische Stimme in ihr krächzte: Genau wie mit Ada, das Leben geht weiter, was?
    Der Krankenwagen raste mit eingeschalteter Sirene weiter. Plötzlich spannte sich Avrams Gesicht an, er warf den Kopf hin und her, als versuche er, Schlägen auszuweichen, und er weinte mit der Stimme eines Jungen, eines Kindes. Wie hypnotisiert schaute sie ihn an, das kannte sie bei ihm nicht. Ihr Avram hatte vor nichts und niemandem Angst gehabt, der kannte einfach keine Angst. Immer hatte sie den Eindruck gehabt, er sei gegen alles Böse gefeit, und überhaupt war es unvorstellbar gewesen, dass irgendwer so einem Avram etwas antun wollte, der mit offenen Armen und völlig ungeschützt durch die Welt ging, mit dieser neugierig forschenden Kopfhaltung, mit seinem Eselslachen und diesem scharfen Blick, Avram eben.
    Aber vielleicht haben sie ihm gerade deshalb so zugesetzt, fuhr es ihr durch den Kopf, haben ihn deshalb so zugerichtet und zertrümmert. Nicht nur, weil er vom Nachrichtendienst war.
    Avrams Mund ging auf, er röchelte und bekam kaum Luft. Sie konnte sich nicht ausmalen, was man ihm in seiner Vorstellung in diesem Moment antat. Sie meinte, er versuche die Hände zu heben und sein Gesicht zu schützen, doch nur ein paar seiner Finger bewegten sich leicht. Sie würde niemals ein Kind haben, schoss es ihr durch den Kopf. In eine Welt, in der so etwas passierte, würde sie kein Kind setzen. Genau in diesem Moment schlug Avram die Augen auf. Rot und trüb.Sie beugte sich über ihn, der Gestank seines offenen Fleisches schlug ihr entgegen. Er sah sie, sein Blick fokussierte sie. Sie hatte den Eindruck, dass die Blutergüsse bis in seinen Augapfel drangen. Avram, sagte sie, das bin ich, Ora. Ihre Finger schwebten über seiner Schulter, sie hatte Angst, ihn zu berühren, Angst, ihm weh zu tun. Er flüsterte: Schade. Was ist schade? fragte sie, was ist schade? Er röchelte, die Worte erstickten fast an der Flüssigkeit in der Lunge. Schade, dass sie mich nicht umgebracht haben.
    Dann gingen die Türen des Krankenwagens auf und viele Gesichter drängten sich in die Öffnung, Hände wurden hereingestreckt, Schreie gellten. Ilan war schon da. Irgendwie hatte er es geschafft, noch vor dem Krankenwagen anzukommen, der schnelle Ilan, dachte sie mit einem Funken Groll, als hätte er diesen Vorsprung vor Avram auf unredliche Weise erworben. Beide rannten hinter der Trage her zu einer Baracke, die zu einer Notaufnahme umfunktioniert worden war. Dutzende Ärzte und Schwestern scharten sich um die Verwundeten, nahmen Blut- und Urinproben, machten Abstriche vom Speichel und von den Wunden. Ein Sanitätsoffizier bemerkte Ora und Ilan und jagte sie mit großem Geschimpfe davon. Sie verkrochen sich auf eine Bank draußen, umschlangen sich und vergruben sich ineinander. Ilan stieß Geräusche aus, die sie nicht kannte, wie ein trockenes, heiseres Bellen. Mit geballten Fäusten packte sie sein Haar, bis er vor Schmerz aufschrie. Ilan, Ilan, was soll das alles werden, flüsterte sie laut in sein Ohr. Ich bleibe bei ihm, bis er zurückkommt, sagte Ilan, bis er wieder so ist, wie er war, egal, wie lange das dauert, und wenn es Jahre sind, ich geh hier nicht mehr weg. Ora ließ von seinem Haar ab, schaute ihn an. Plötzlich erschien er ihr älter, gleichsam von Trauer und Entsetzen schwerer geworden. Du wirst bei ihm bleiben, wiederholte sie seine Worte verwundert. Was dachtest denn du, fragte er ärgerlich, dass ich ihn allein lass? Ja, dachte sie, das hab ich wirklich gedacht, ich dachte, ich würde das alleine mit ihm durchmachen.
    Dann fasste sie sich: Nein, nein, klar, dass du bleibst, keine Ahnung, was mich da plötzlich … Hör zu, allein steh ich das gar nicht durch. Und er verzog beleidigt und verärgert den Mund: Aber warum denn allein? Und sie dachte, weil du, auch wenn du da bist, immer ein bisschennicht da bist. Komm, sagte sie, wir gehn wieder zu ihm, wir warten an der Tür, bis sie uns reinlassen.
    Sie gingen nebeneinander zwischen den betriebsamen Baracken entlang. Schon lange, seit dem Krieg, waren sie nicht in der Lage gewesen, sich zu berühren. Aber jetzt, bemerkte sie verblüfft, meldete sich in ihr plötzlich ein

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