Eine Frau flieht vor einer Nachricht
dachte sie, und wir sind noch immer zusammen. Doch nach einer Weile wurden ihre Beine sehr schwer und ein undeutlicher Schmerz zog durch ihren Körper.
Sie dachte, es sei die Müdigkeit, hatte sie doch in den letzten zwei Tagen kaum geschlafen, oder vielleicht ein kleiner Sonnenstich – gestern hatte sie keinen Hut getragen und auch nicht genug getrunken –, und sie hoffte, dass nicht ausgerechnet jetzt bei ihr eine Frühjahrsgrippe ausbrach. Aber es fühlte sich nicht an wie Grippe und auch nicht wie Sonnenstich, es war ein anderer, ein unbekannter Schmerz, der da hartnäckig in ihr fraß, und ab und zu dachte sie sogar, eine Fressbakterie.
Bei einer Ruine, von der nur ein Teil noch stand und der Rest zu einem Haufen behauener Steine zerfallen war, ruhten sie sich aus, Ora schloss die Augen und versuchte, sich mit tiefen Atemzügen, mit dem Massieren von Schläfen, Brustbein und Bauch zu beruhigen, doch es half nichts. Der Schmerz und die Beklemmung wurden nur noch stärker, ihr Puls schlug heftig im ganzen Körper, und da kam ihr in den Sinn, dass es Ofer war, der ihr weh tat.
Sie spürte ihn im Bauch, unter dem Herzen, eine ruhelose dunkle Stelle füllte sich dort mit der Empfindung Ofer. Er regte und bewegte sich in ihr, drehte sich um, und sie stöhnte überrascht, erschrak über seine Gewalt, über seine Verzweiflung, und erinnerte sich an den klaustrophobischen Anfall, den er etwa mit sieben Jahren im Aufzug zu Ilans Büro bekommen hatte: Der Aufzug war zwischen zwei Stockwerken steckengeblieben, sie beide waren allein, und als Ofer begriff, dass sie feststeckten, begann er laut zu schreien, man solle ihm die Tür aufmachen, er müsse raus, er wolle nicht sterben. Sie hatte versucht, ihn zu beruhigen, ihn zu umarmen, doch er entwand sich ihr und warf sich gegen die Wände und gegen die Tür, trommelte dagegen und brüllte, bis seine Stimme sich überschlug, und zum Schluss traktierte er sogar sie mit Schlägen und Tritten. In all den Jahren danach konnte Ora nie vergessen, wie sich seine Gesichtszüge in diesen Augenblicken verändert hatten, und auch nicht ihre stechende Enttäuschung, als sie, und dies nicht zum ersten Mal, begriff, wie dünn und zerbrechlich bei ihm die lebensprühende, fröhliche Oberfläche war, bei ihm, dem helleren und klareren ihrer beiden Kinder. So hatte sie doch immer in Gedanken von ihm gesprochen – das hellere und klarere ihrer beiden Kinder –, und sie erinnerte sich, wie Ilan ihr später halb im Spaß gesagt hatte, dass er dann wenigstens nie zur Panzertruppe gehen, sich nie freiwillig in so einen engen Panzer setzen würde, doch diese Prophezeiung hatte sich, wie viele andere, als falsch erwiesen, er war zu den Panzern gegangen, er war da reingeklettert, ohne Problem. Nicht er, sondern sie hatte einen Erstickungsanfall bekommen und wäre fast ohnmächtig geworden, als sie in Nebi Mussa nach einer von seinem Regiment für die Eltern veranstalteten Vorführung der Einheit in Bewegung und beim Schießen auf sein Bitten selbst in einen Panzer geklettert war. Und jetzt spürte sie ihn, Ofer, genau so, wie sie ihn damalsim Aufzug gespürt hatte. Sein Entsetzen. Rasend vor Angst. Er merkte wohl, dass sich etwas immer enger um ihn zuzog und ihn gefangen nahm, dass er nicht rauskonnte und keine Luft kriegte, und Ora sprang auf und stand nun über Avram. Komm, sagte sie, lass uns gehen, und Avram verstand es nicht, wir haben uns doch gerade erst hingesetzt, aber er fragte nichts. Gut, dass er nichts fragte, was hätte sie ihm schon sagen können.
Sie ging schnell, spürte nicht das Gewicht des Rucksacks, vergaß auch Avram immer wieder, der sie rufen musste, sie solle langsamer gehen, auf ihn warten, aber es fiel ihr schwer, seine Langsamkeit war unerträglich. Den ganzen Morgen war sie nicht bereit, auch nur einmal anzuhalten, und wenn er protestierte und sich mitten auf den Weg oder unter einen Baum legte, lief sie trotzdem weiter und zog Kreise um ihn, um sich im dauernden Laufen, unter der heißen Sonne immer mehr zu betäuben, auch trank sie absichtlich nichts. Doch Ofer ließ nicht von ihr ab, er bohrte hartnäckig in ihr, in schmerzhaften rhythmischen Krämpfen, und gegen Mittag hörte sie ihn plötzlich auch, nicht wirklich reden, aber die Melodie seiner Stimme hörte sie hinter allen Geräuschen des Tals, hinter dem Summen und Zwitschern, dem Zirpen der Grillen, dem Geräusch ihres eigenen Atems und dem Röcheln Avrams hinter ihr, hinter dem Surren der riesigen
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