Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
Vom Netzwerk:
Schicksal zusteht, zu erklären, um soundsoviel Uhr an dem und dem Ort ist Ihr Sohn Ofer bei einem Einsatz – dass dieser erklärte Wille hier auf eine völlig unerwartete andere und ebenso starke Kraft trifft, nämlich auf Oras absolute Weigerung, diese Nachricht entgegenzunehmen oder auf irgendeine andere Art und Weise mitzuspielen und zuzugeben, dass sie die Empfängerin dieser Botschaft ist.
    Jetzt beteiligen sich auch die beiden anderen an dem Versuch, dieTür einzudrücken; mit rhythmischem Stöhnen und verhaltenen Anfeuerungen werfen sie immer wieder ihre Körper dagegen, und Ora kauert irgendwo dort an den Rändern ihres Traums. Ihr Kopf wird hin und her geworfen, sie will schreien, kriegt aber keinen Ton heraus, und sie weiß, nie würden sie es wagen, etwas so Außergewöhnliches zu tun, wenn sie nicht die Verweigerung spürten, die von der anderen Seite der Türe ausstrahlt. Gerade dies macht sie so wahnsinnig, und die arme Tür wackelt und knarrt zwischen Willen und Weigerung, zwischen ihrer erwachsenen, militärischen Logik und Oras kindischer Sturheit, und Ora verheddert sich in den Falten ihres Schlafsacks, bis sie plötzlich erstarrt, die Augen aufschlägt und durch die kleine Luke in ihrem Zelt nach draußen sieht: Es wird hell. Sie fährt sich mit der Hand durch die Haare, nass sind die, wie vom eigenen Schweiß gewaschen, und sie liegt da und sagt sich, gleich wird das Herz zu rasen aufhören, und dann muss sie hier raus.
    Doch sosehr sie es will, sie schafft es nicht aufzustehen, der Schlafsack hat sich um sie geschlungen, hat sie wie eine riesige feuchte Binde fest umwickelt, und ihr Körper ist zu schlaff, um sich von diesem lebendigen Totentuch, das sie umschließt, zu befreien. Vielleicht sollte sie einfach noch ein bisschen liegenbleiben, ruhiger werden, Kräfte sammeln, die Augen schließen, an etwas Erfreuliches denken, doch sie bemerkt sofort, im Team der Überbringer der Nachricht beginnt ein leises Murren, denn ihnen ist völlig klar, dass sie diese Nachricht überbringen müssen, wenn nicht jetzt, dann in ein oder zwei Stunden, in ein oder zwei Tagen. Aber dann müssen sie noch einmal den ganzen Weg bis hierher machen und sich noch einmal auf diesen schweren Augenblick vorbereiten, keiner denkt ja an die Überbringer der Nachricht, an den enormen seelischen Druck, der auf ihnen lastet; immer tun einem nur die Empfänger Leid. Vielleicht sind die Überbringer sogar wütend, denn bei allem Schmerz und aller Sympathie hat sich bei ihnen zweifellos bereits eine Spannung, um nicht zu sagen Aufregung aufgebaut, die geradezu etwas Feierliches hat, auf diesen Moment der Nachrichtenübergabe hin, der, auch wenn sie ihn schon Dutzende Male erlebt haben, nie zur Routine wird und es auch nicht werden kann, genauso wenig, wie das Vollstrecken einer Todesstrafe zur Routine werden kann.
    Mit einem halb erstickten Schrei riss Ora sich aus dem verfluchten Schlafsack, rannte aus dem Zelt und blieb draußen aufgewühlt stehen. Erst einige Augenblicke später bemerkte sie Avram, der nicht weit von ihr an einen Baum gelehnt auf der Erde saß und sie anschaute.

    Sie kochten Kaffee und tranken ihn schweigend, er in seinen Schlafsack, sie in einen dünnen Mantel gewickelt. Er sagte, du hast geschrien, und sie sagte, ich hatte einen Albtraum. Er fragte nicht weiter. Sie tastete sich vor, hast du gehört, was ich geschrien habe? Da stand er auf und begann plötzlich, ihr etwas über die Sterne zu erklären. Wo die Venus war, wo die beiden Wagen, und wie der Große Wagen in Richtung Polarstern stand. Sie hörte ihm zu, teils gekränkt, teils überrascht von seiner neuen Begeisterung, von seiner Stimme, in der sich ein paar Knoten gelöst hatten. Siehst du, er zeigte nach oben, da ist Saturn, manchmal kann ich ihn im Sommer von meinem Bett aus sehen, mit den Ringen, und das hier ist Sirius, der leuchtet am hellsten …
    Er redete und redete, und Ora erinnerte sich an eine Zeile von S. Yizhar, die Ada und sie besonders gemocht hatten: »Es ist unmöglich, jemandem einen Stern zu zeigen, ohne die andere Hand auf seine Schulter zu legen« , doch es war möglich.
    Sie packten ihr kleines Zeltlager zusammen und gingen los. Ora ließ den Ort, an dem der Albtraum sie heimgesucht hatte, gern hinter sich. Der Sonnenaufgang, der sich am Himmel andeutete – wie zwischen zwei sich langsam öffnenden Handflächen stieg das Licht auf –, belebte sie ein bisschen. Jetzt sind wir schon ganze vierundzwanzig Stunden unterwegs,

Weitere Kostenlose Bücher