Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Wassersprenger auf den Feldern, den Motoren der fernen Traktoren und der Leichtflugzeuge, die ab und zu über ihnen kreisten. Seine Stimme schien ihr merkwürdig klar, als sei er wirklich hier, als gehe er neben ihr her und unterhalte sich mit ihr ohne Worte. Er hatte keine Worte, nur seine Stimme. Er spielte auf seiner Stimme wie auf einem Instrument, und manchmal bemerkte sie auch das erschütternde leichte Stottern, das er manchmal beim S hatte, besonders wenn er aufgeregt war. Was sollte sie tun? War es richtig, ihm zu antworten, einfach anzufangen, zu ihm zu reden, oder sollte sie ihn möglichst ignorieren? Denn seit sie die Tür ihres Hauses in Bejt Zajit hinter sich geschlossen hatte, quälte sie auch eine umgekehrte, ihr sehr bekannte Angst: Die Angst, was ihr in den Sinn kommen, was sie in Gedanken sehen würde, wenn sie an ihn denkt, was ihrem Kopf entweichen und sich gerade dann um Ofers Hände und auf seine Augen legen würde, wenn er unbedingt wach und im vollen Besitz all seiner Kräfte sein musste.
Sogleich spürte sie, dass er seine Taktik änderte, denn er sagte einfach nur »Mama«, ein ums andere Mal, hundertmal Mama, Mama, in unterschiedlichem Tonfall, unterschiedlichem Alter, er quengelte, er jauchzte ihr zu, er vertraute ihr etwas an, zog an ihrem Kleid, Mama, Mama, er ärgerte sich über sie, versuchte sich einzuschmeicheln, weinte, flirtete mit ihr, staunte, schmiegte sich an sie, zog sie auf, lachte mit ihr, öffnete aufs Neue an jedem Morgen seiner Kindheit die Augen zu ihr: Mama?
Oder wie er als Säugling wach und winzig in ihrem Schoß gelegen hatte, die schmalen Hüften in Windeln gepackt, und sie mit dem Blick anschaute, den er damals schon hatte, so ruhig und erwachsen, dass er sie verlegen machte, immer mit einem leichten Anflug von Ironie, den hatte er beinahe von Geburt an, vielleicht lag es an der Form seiner Augen, die sich in so einem steilen Winkel zweifelnd einander zuneigten – zuneigen.
Sie stolperte, streckte die Arme nach vorn und sah aus, als bahne sie sich den Weg durch einen unsichtbaren Schwarm von Wespen. Etwas Unheilvolles lag in der Lebendigkeit, in der Art und Weise, in der er in ihr lebendig wurde, in der Willkür, mit der es ihn in ihr schüttelte, und sie fragte sich kraftlos, warum ist er so, warum zerrt er so an mir, und ihr ganzes Inneres pulsiert, atmet seinen Namen wie ein Blasebalg. Keine Sehnsucht liegt darin, nichts Süßes. Er zerreißt sie von innen, tobt, schlägt mit Fäusten gegen die Wände ihres Körpers. Er fordert sie ganz für sich, ohne Grenzen, verlangt, dass sie sich von sich selbst freimacht und sich bis zur Selbstaufgabe ihm widmet, dass sie an ihn denkt, ununterbrochen, von ihm redet und jedem, den sie trifft, von ihm erzählt, sogar den Bäumen, den Steinen und den Dornen. Dass sie seinen Namen immer wieder sagt, laut und im Stillen, dass sie ihn nicht für einen Moment, nicht für eine Sekunde vergisst, dass sie ihn nicht zurücklässt, denn er braucht sie jetzt, um zu leben, das weiß sie plötzlich, das spürte sie, wenn er zubiss, wie kam es, dass sie das nicht gleich begriffen hat, er braucht sie jetzt, um nicht zu sterben. Sie stand da, legte eine Hand auf ihre schmerzende Hüfte und hauchte fassungslos: Wirklich so? Genau so, wie er mich damals gebraucht hat, um auf die Welt zu kommen?
Was hast du, keuchte Avram, als er sie endlich einholte, was hat dichdenn gestochen? Sie senkte den Kopf und sagte leise, Avram, ich kann so nicht weitermachen. Und er, was heißt so. Und sie, dass du nicht wenigstens bereit bist … Dass ich dir nicht wenigstens den Namen sagen kann. Da löste sich bei ihr ein Knoten, hör zu, sagte sie, dieses Schweigen, das bringt mich um und ihn auch, also entscheide dich.
Was soll ich entscheiden, fragte er.
Ob du wirklich mit mir hier bist.
Sofort schaute er an ihr vorbei. Ora schwieg und wartete. Seit Ofer geboren war, hatte sie mit Avram so gut wie nicht über ihn geredet. Jedes Mal, wenn sie sich bei ihren seltenen Treffen nicht beherrschen konnte und versuchte, von Ofer zu erzählen oder auch nur seinen Namen zu erwähnen, machte er so eine schnelle Handbewegung, als verscheuche er eine lästige Fliege. Immer hatte sie Avram von Ofer abschirmen müssen, das war seine Bedingung. Nur so war er zu diesen erbärmlichen Treffen überhaupt bereit gewesen, als gäbe es keinen Ofer und als hätte es ihn nie gegeben. Ora hatte die Zähne zusammengebissen, sich eingeredet, sie habe die Kränkung und die Wut
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