Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
indessen in die Stadt gekommen. Werner wußte nur, daß Anita Eyssing in Schwabing wohnte, irgendwo in der Nähe des Josephsplatzes , aber er kannte sich in der Gegend, die ihm einst so vertraut gewesen war, nicht mehr aus; sie hatte ihr Gesicht völlig verändert, und wahrscheinlich auch ihren Charakter.
    »Sie müssen mich jetzt führen«, bat er, »aber bevor ich Sie daheim absetze, bitte ich Sie sehr, mit mir noch irgendwo eine Tasse Kaffee zu trinken. Ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen...«
    Sie antwortete ihm nicht sogleich, sondern lotste ihn durch einige Straßen, in denen kaum noch Verkehr herrschte. Vor einem modernen, achtstöckigen Gebäude, vor dem es sogar noch genug Parkmöglichkeiten gab, ließ sie ihn halten.
    »Hier wohne ich, Herr Gisevius. Und wenn Sie durchaus noch eine Tasse Kaffee haben wollen, können Sie sie bei mir bekommen. Ich habe übrigens auch einen Schluck Cognac im Hause...«
    »Oh, das ist wirklich mehr, als ich selbst im kühnsten Traum erwartet hätte.«
    Sie reichte ihm die Hand, um sich aus dem Wagen helfen zu lassen, ihr Rock glitt dabei zurück und gab für eine Sekunde den Anblick ihrer seidenschimmernden Knie frei, einen sehr reizvollen Anblick, der ihm aber rasch entzogen wurde. Er schloß den Wagen, während sie die Haustür öffnete und die Beleuchtung des Treppenhauses einschaltete. Der Fahrstuhl schnurrte mit ihnen leise zum achten Stockwerk empor. Sie standen nebeneinander, verfolgten das Aufleuchten der Etagenziffern, als wäre es ein unerhört interessantes Schauspiel, und bemühten sich, gleichgültig zu erscheinen und das Knistern der elektrischen Spannung, die sich bei dem nahen Zusammensein in der engen Fahrstuhlzelle unwillkürlich einstellte, zu überhören. Der knackende Laut, mit dem der Aufzug am Ziel einrastete, und die plötzliche Stille ließen Anita Eyssing in ein kleines, nervöses Gelächter ausbrechen.
    »Komisch, daß ich mich an diese Aufzüge nie gewöhnen kann. Immer habe ich im Fahrstuhl das Gefühl, im nächsten Moment werde etwas Schreckliches geschehen...«
    »Flugzeuggedanken...«, sagte Werner mit einem kleinen Grinsen. »Ich bin ziemlich häufig in der Luft unterwegs. Das Flugzeug ist drüben das normale Transportmittel. Aber jedesmal , wenn die Bremsklötze weggeschlagen werden, spüre ich meinen Magen. Der Mensch ist kein Vogel, und wahrscheinlich steigt ihm die Urangst an die Kehle, wenn er Dinge tut, die seinem Wesen fremd sind...«
    »Schön, das mag aufs Fliegen zutreffen, aber beim Fahrstuhl...?«
    »Ich nehme an, daß unsere Vorfahren nicht gerade mit Fahrstühlen in den Bäumen herumkutschiert sind...«
    Er betrachtete das kleine Messingschild am Türrahmen, das in schwarzen Buchstaben ihren Namen trug, und folgte der einladenden Handbewegung, mit der sie ihn zum Eintreten in die winzige Garderobe aufforderte. Er hatte Dutzende von diesen Häusern gebaut und hätte sich blind darin zurechtgefunden. Der Raum, in den er eintrat, hatte genau die Proportionen, die er sich vorgestellt hatte. Ein breites Fenster und eine Glastür führten, da das oberste Stockwerk um zwei Meter zurückgesetzt war, auf einen Dachgarten, der durch leuchtend gelbe Kunststoffwände von den benachbarten Vorplätzen abgetrennt war.
    »Mein Monte Balkone«, sagte sie, »ich warte nur noch auf Sonne. Es gab hier im Februar ein paar Tage, da konnte man sich einbilden, auf der Terrasse des Palast-Hotels in Arosa zu liegen...«
    Durch das große Fenster, dessen bunt gemusterte Vorhänge zurückgezogen waren, sah man, da das gegenüberliegende Haus nur vierstöckig war, die Stadt mit dem verschwenderischen Glanz zuckender Lichtreklamen und den Lichtschnüren der bläulich schimmernden Straßenlampen unter sich liegen. Der Raum machte den Eindruck eines Malerateliers. Und die Ausstattung unterstützte diesen Eindruck noch. An den Wänden hingen zahlreiche Bilder, zum Teil ungerahmt oder nur in ihren Passepartouts, Ölskizzen, Kohlezeichnungen und grobkörnige Linolschnitte. Auf einem hellen Naturholzsockel stand eine Tonbüste, sehr kühn und eigenwillig, aber doch unverkennbar der Kopf von Anita Eyssing. Sie schien sein leises Erstaunen darüber wahrzunehmen, daß sie es fertig brachte, sich ständig mit sich selbst zu konfrontieren.
    »Sie irren sich, Herr Gisevius, wenn Sie mich für eitel halten. Aber ich bin mit der Bildhauerin, von der die Büste stammt, befreundet. Sie besucht mich gelegentlich, und es würde sie beleidigen, wenn ich ihr Meisterwerk auf

Weitere Kostenlose Bücher