Eine Frau für Caracas
sprechen, einen besonderen Grund hat...« Er bemerkte in ihrem Gesicht eine gewisse abwehrbereite Spannung und spürte peinlich berührt, daß sie sich darauf vorbereitete, ihm einen höflichen Korb zu geben. Er sah hinter ihrer Stirn förmlich die Gedanken arbeiten, wie sie sich darum bemühte, eine Formulierung zu finden, die ihn nicht verletzte und die ihr nicht die Möglichkeit nahm, ohne Peinlichkeiten weiter im Hause seines Schwagers zu verkehren, solange er sich dort noch aufhielt.
»Ich bin eigentlich nur der Überbringer einer Nachricht, die Dyrenhoff schon vorgestern erhielt und die er Ihnen nur deshalb vorenthielt, weil ich ihn darum bat, sie Ihnen selber mitteilen zu dürfen...«
»Machen Sie es doch nicht so spannend, Herr Gisevius«, sagte sie halb lächelnd und auch ein wenig ängstlich, »was kann das schon für eine merkwürdige Nachricht sein?«
Aber plötzlich beugte sie sich vor und starrte ihn aus Augen an, deren Pupillen sich so groß öffneten, daß ihre spiegelnde Schwärze die ganze Iris ausfüllte.
»Betrifft die Nachricht etwa...?« fragte sie atemlos — und er wußte genau, wen sie meinte, obwohl sie den Namen nicht aussprach.
Er nickte ernst: »Ja, sie betrifft Herrn Severin...«
»Ist er tot?« fragte sie mit starrem Gesicht.
»Nein, er wird in den nächsten Tagen vorzeitig aus der Haft entlassen.«
Für einen Augenblick glaubte er, hinzuspringen und sie in seinen Armen auffangen zu müssen. Sie preßte beide Hände gegen ihr Herz und war so blaß geworden, als wäre jeder Tropfen Blut aus ihrem Gesicht entwichen. Sekundenlang schloß sie die Augen und beugte sich vornüber, als müsse sie einen stechenden Schmerz in ihrer Brust unterdrücken.
»Mein Gott«, murmelte sie schließlich mit zuckenden Lippen, »das habe ich allerdings nicht erwartet. Woher haben Sie es erfahren? Oder woher weiß es Dr. Dyrenhoff?«
»Von dem Anwalt, der Severin in dem Strafverfahren gegen ihn verteidigt hat. Er traf ihn vor zwei Tagen im Justizpalast.«
»Dr. Langengut?«
»Ganz recht, das war der Name, den Dyrenhoff nannte.«
Sie schloß wieder die Augen und preßte die Hände zusammen, als brauche sie Zeit, um die Nachricht in ihrer ganzen Bedeutung und Tragweite zu erfassen. Am liebsten wäre er aufgestanden, zu ihr hinübergegangen, um ihr die Hand auf die Schulter zu legen, um sie zu streicheln, um ihr wortlos zu verstehen zu geben, daß er in ihrer Nähe sei und daß sie sich nicht zu fürchten brauche, solange er da sei...
»Ich weiß, daß ich Ihnen keine gute Nachricht gebracht habe«, ; sagte er gepreßt , »aber ich habe nicht geahnt, daß sie solch eine schlimme Wirkung haben würde. Was befürchten Sie eigentlich? Was hat dieser Mann noch mit Ihnen zu schaffen? Und was tut es, ob er inhaftiert ist oder frei herumläuft? Ihre Beziehungen zu ihm sind doch durch die Scheidung zerschnitten, nicht wahr...?«
»Sie kennen diesen Menschen nicht!« sagte sie, ohne den Blick zu heben und ohne sich aus ihrer erstarrten Haltung zu lösen.
»Nein, ich kenne ihn nicht. Ich habe von ihm gehört. Dyrenhoff hat mir von ihm erzählt. Von seinen Besuchen, und von dem Eindruck, den Severin auf ihn gemacht hat. Ich weiß, daß er ein Trinker war, und daß Sie mit ihm scheußliche Dinge erlebt haben. Aber man kann doch wohl annehmen, und Dyrenhoff bestätigte es, daß er in den vergangenen drei Jahren durch die unfreiwillige Entziehungskur ein anderer Mensch geworden ist. Und selbst, wenn er sich nicht geändert haben sollte — was geht Sie das noch an?«
»Sie kennen diesen Menschen nicht«, wiederholte sie und preßte die Hände vor die Augen. Es war eine kindliche Bewegung, die etwas Rührendes hatte, es war, als könne sie dadurch, daß sie die Augen bedeckte und nichts mehr wahrnahm, auch selber nicht mehr gesehen werden. »Ich bin ihm ein Dutzend Male, ich weiß selber nicht mehr, wie oft, davongelaufen. Ich hielt dieses Leben nicht mehr aus. Aber immer wieder holte er mich zurück. Durch Bitten, durch Beschwörungen, durch Drohungen. Nein, Sie können es nicht ahnen, was ich durchgemacht habe. Diese Tollhausszenen, diese entsetzlichen Tobsuchtsanfälle, in denen er mich und sich selber umzubringen drohte... Diese selbstmörderischen Depressionszustände, in denen er sich tagelang einschloß und sich bis zur Besinnungslosigkeit betrank oder mit anderen Mitteln vergiftete. Diese rasenden Anklagen, ich sei daran schuld, daß er nicht weiterkomme und sich mit mittelmäßigen Rollen begnügen
Weitere Kostenlose Bücher