Eine Frau für Caracas
den Speicher stellte. Es ist übrigens keiner vorhanden...«
»Das ist natürlich schlimm«, grinste er, »aber ich möchte nichts gegen die Arbeit sagen. Das Mädchen kann etwas. Und ich habe immer Respekt vor einer guten Leistung...«
»Das Mädchen ist fünfundsechzig Jahre alt und ein Dragoner. Sie raucht Zigarren oder Pfeife und besitzt eine Stimme, daß die Wände dröhnen und daß ich die Furcht nie los werde, meine Nachbarn könnten auf die schlimmsten Gedanken kommen, wenn sie bei mir zu Besuch ist und gelegentlich hier übernachtet.«
Sie nahm in einem maisfarbenen, wannenförmigen Sessel Platz und deutete auf die breite Couch, von der anzunehmen war, daß sie ihr auch als Nachtlager diente, denn es war eine Einraumwohnung, zu der nur noch ein winziges Bad gehörte. Ein Servierwagen, in dessen gläsernem Untergestell sich ein halbes Dutzend Schwenker, ein paar Mokkatassen in verschiedenen Farben, eine Jenaer Kaffeemaschine und zwei Flaschen mit Cognac und weißem Vermouth befanden, stand in Griffnähe.
»Darf ich Ihnen einen Cognac einschenken?«
»Sie werden es nicht für möglich halten, aber ich möchte tatsächlich eine Tasse Kaffee trinken, natürlich nur, wenn ich Ihnen damit keine Umstände mache.«
»Wirklich nicht! Aber lassen Sie mich ein Glas Vermouth trinken. Wenn ich jetzt einen Kaffee nehme, rotiere ich die ganze Nacht um meine eigene Achse.«
Sie stellte die Kaffeemaschine auf die Glasplatte des Servierwagens, schüttete staubfein gemahlenen Kaffee auf das Filtersieb, holte in einer Kristallkanne Wasser und zündete die Spiritusflamme an. Werner bot ihr eine Zigarette an und reichte ihr Feuer, ihre Hände berührten sich, und er spürte die Berührung wie einen prickelnden Stromstoß. Anita beobachtete die Kaffeemaschine. Das Wasser begann zu kochen, sprudelte in den zweiten Glasballon empor, fiel zurück und wurde noch einmal hochgedrückt , dann löschte sie die Flamme. Werner reichte ihr seine Tasse hinüber und genoß das Aroma des bitterschwarzen Getränks, das sich mit dem süßen Duft des Virginiatabaks mischte.
»Hervorragend...«, lobte er, »meine Rosario ist bei meinen Freunden wegen ihres Kaffees berühmt, aber Sie sind ihr ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen...«
»Ihre Rosario möchte ich gern kennenlernen. Ich stelle sie mir vor wie Mammy auf Mr. O’Haras Farm, Scarletts dicke, alte Kinderfrau... Stimmt es ungefähr?«
»Sie ist genauso schwarz und genauso dick, und eigentlich auch genauso herrschsüchtig. Sie haben recht, es besteht eine große Ähnlichkeit. Aber schließlich, warum sollen Sie Rosario eigentlich nicht kennenlernen? Der Weg ist ein bißchen weit, aber er lohnt sich wirklich. Sie würden fasziniert und begeistert sein. Es geht jedem so, der das Land zum erstenmal betritt. Erst, wenn man zahlen muß, beginnt die Begeisterung zu verfliegen...«
»Schönen Dank für die Einladung nach Caracas, Herr Gisevius. Ich werde mir zwischen Weihnachten und Neujahr acht Tage Urlaub geben lassen.«
»Nehmen Sie zur Vorsicht noch zwei Tage dazu, sonst erwischen Sie nämlich das Flugzeug nicht mehr, das Sie pünktlich zurückbringt.«
Er ließ sich zum zweitenmal einschenken und genoß den Duft des Kaffees und genoß die Stunde, Anita Eyssings Gegenwart, die Intimität des nächtlichen Zusammenseins, ihre Bewegungen, die so anmutig und geschmeidig waren, den Schimmer ihrer schönen Hände und Arme, die elegante Linie des graphitgrauen Kleides, das den Körper eng umspannte und im Rücken durch eine lange Knopfreihe geschlossen war, das streng wirkte und durch einen schlitzartigen Ausschnitt hin und wieder doch ein winziges Stück ihrer Schultern freigab. Er genoß ihre ein wenig schleppende Stimme, die leicht ironisch gefärbt schien und einen gewissen Abstand zum Gesprächspartner schuf, einen Abstand, der aber nicht unüberwindlich zu sein schien...
Seine Gedanken stürzten plötzlich ab, in dunkle Tiefen, in denen ein kalter Windhauch alle prickelnden Vorstellungen erstarren ließ. Lieber Gott, er hatte tatsächlich völlig vergessen, was der eigentliche Grund dafür war, daß er ihr seine Begleitung halb aufgedrängt hatte! Und der Absturz der zärtlichen Gefühle zeichnete sich in seinem Gesicht so deutlich ab, daß Anita Eyssing fragend aufblickte.
»Was haben Sie, Herr Gisevius? Sie sehen plötzlich so verändert aus, fast bestürzt, möchte ich sagen...«
»Oh...«, murmelte er bedrückt, »ich sagte Ihnen doch, daß mein Wunsch, noch mit Ihnen zu
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