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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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meine Gedanken in Anspruch nahm. Ich war Dr. Dyren-hoff auch noch aus anderen Gründen dankbar, daß er mir das Angebot machte, bei ihm zu arbeiten.«
    Werner spürte, daß ihre Haltung sich veränderte, daß sie starrer wurde, daß sie sich spannte, als müsse sie eine Abwehrstellung einnehmen. Sie blickte geradeaus auf die Straße und in den grellen Lichttunnel hinein, den die Scheinwerfer in die Dunkelheit bohrten.
    »Ich heiße nur Eyssing!« sagte sie mit einer gewissen Schärfe. »Mit den Fabriken meines Vaters habe ich nichts zu tun. Und mit seinen Einkünften auch nichts! Oder wissen Sie nicht, daß ich seit jener Ehe zu meinen Eltern keine Beziehungen mehr unterhalte? Oder vielmehr sie zu mir...«
    »Meine Schwester hat es flüchtig erwähnt...«, murmelte er, als bäte er um Vergebung, dieses peinliche Thema angeschnitten zu haben.
    »Mein Vater wünschte sich einen Schwiegersohn, der seinen pharmazeutischen Betrieb einmal übernehmen sollte. Er warnte mich vor jener Ehe...«
    »Hatte er dazu Gründe?«
    »Keine realen Gründe«, antwortete sie zögernd, »aber Schauspieler... Das war eine Welt, die ihm fremd und vielleicht sogar suspekt war. Er hatte eben Vorurteile, die man ihm nicht ausreden konnte. Was er sich einmal in den Kopf setzte, das stand für alle Zeiten fest. Aber was langweile ich Sie mit diesen Geschichten?«
    »Sie langweilen mich durchaus nicht, im Gegenteil, diese Dinge interessieren mich außerordentlich! Was ich darüber gehört habe, stammt aus zweiter und dritter Hand und gibt mir wahrscheinlich ein völlig schiefes Bild...«
    Sie öffnete ihre Handtasche, nahm eine flache Dose heraus und puderte sich die Nase. Es war nicht notwendig, es geschah nur, um eine Pause zu überbrücken.
    »Wissen Sie, daß ich mit achtzehn Jahren von daheim fortgelaufen bin?« fragte sie plötzlich fast abrupt.
    »Nein, aber ich finde es einigermaßen überraschend.«
    »Es steckte kein Mann dahinter!« sagte sie heftig.
    »Ich habe es auch nicht angenommen. Aber weshalb taten Sie es? Was war der Grund?«
    »Ich hielt es einfach nicht länger aus, wie ein Vogel im Käfig oder wie ein Zierfisch im Bassin gehalten zu werden!« sagte sie und kurbelte das Seitenfenster herunter, als beenge ihr der Gedanke an jene Zeit noch jetzt den Atem. »Andere Kinder hatten Freunde. Ich hatte eine Kindergärtnerin. Andere Kinder durften sich austoben. Ich durfte in rosa Organdykleidchen an der Hand eines säuerlichen Fräuleins Spazierengehen. Andere Kinder gingen in die Schule. Ich wurde von einer frühzeitig pensionierten Studienrätin daheim unterrichtet. Andere Kinder hatten Keuchhusten und Masern und Scharlach. Wenn ich nur nieste oder irgendwo ein rotes Pickelchen bekam, wurde ich ins Bett gesteckt und von drei Kapazitäten abgehorcht und abgeklopft...«
    »Lieber Gott im Himmel...!« murmelte Werner halb belustigt und halb bedauernd.
    »Ja, es mag komisch klingen — aber machen Sie das einmal jahrelang mit! Vielleicht hätte ich mir nichts dabei gedacht, wenn ich schwächlich oder kränklich oder überzart gewesen wäre. Aber ich war gesund und lebendig wie eine Forelle und wurde mit Vitaminen, die damals so sehr in Mode kamen, geradezu überfüttert. Wozu eigentlich? Um brav zu sein und bei den Gesellschaften meiner Mutter artige Knickschen zu machen!«
    »Hatte denn Ihre Mutter für Sie kein Verständnis?«
    »Nein — aber selbst wenn sie es gehabt hätte, hätte es nichts genützt. In der Fabrik und daheim gab es nur ein Gesetz, und das bestimmte mein Vater. Ich will damit nicht etwa sagen, daß er einer der Tyrannen war, vor denen alles zitterte. Ganz im Gegenteil, er war nie laut, nie launisch, nie drohend, aber er setzte seinen Willen durch, lautlos, mit einem Blick, mit einer winzigen Handbewegung. Es war eine unwiderstehliche Kraft, man konnte sich dagegen nicht anstemmen. Er war wie ein Felsblock, unter dessen Gewicht man einfach erstickte.«
    »Das klingt alles wie ein Märchen...«, murmelte Werner.
    Sie drehte sich ihm mit einer heftigen Bewegung zu.
    »Wie meinen Sie das?« fragte sie fast scharf.
    »Daß es solche Väter und solche Erziehungsmethoden heute noch gibt!« sagte er, von ihrer Heftigkeit ein wenig überrascht.
    »Ja, so etwas gibt es!« sagte sie besänftigt, und dieser Stimmungswechsel war ebenso überraschend wie ihre voraufgegangene heftige Reaktion.
    »Wohin gingen Sie, als Sie damals von daheim fortliefen?«
    »Ich tat das Dümmste, was ich tun konnte. Ich fuhr zu einer Schwester

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